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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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sahen aus wie Grabsteine. Sie zählte sie langsam, eins, zwei, drei, und war über zehn hinaus, als sie merkte, wie der Wagen sich neigte, als Frank Ware einstieg. Dann rutschte Nick neben sie auf den Rücksitz. Sie spürte, daß er sie ansah, aber das war ohne Bedeutung. Sie zählte weiter - vierzehn, fünfzehn, sechzehn. Wieso hatte Nicks Onkel so viele Dachschindeln? Und warum hob er sie unter dem Baum auf? Siebzehn, achtzehn, neunzehn.
    Nicks Vater kurbelte sein Fenster herunter. »Danke, Kev«, sagte er leise. »Denk dir jetzt bloß nichts.«
    Der andere Mann kam zum Wagen und lehnte sich dagegen. Er richtete das Wort an Nick. »Tut mir leid, Junge«, sagte er. »Wir kriegten die Kleine nicht ins Bett, als sie hörte, daß du kommen würdest. Sie hat dich einfach so gern.«
    »Ist schon okay«, sagte Nick.
    Sein Onkel nickte kurz und trat vom Wagen zurück. »He, ihr ulkigen Kerle«, rief er den Hunden zu. »Macht, daß ihr da wegkommt.«
    Der Wagen setzte sich schlingernd in Bewegung, drehte und fuhr zur Straße hinaus. Frank Ware schaltete das Radio ein. »Was wollt ihr hören, Kinder?« fragte er freundlich, aber Maggie schüttelte nur den Kopf und sah zum Fenster hinaus, und Nick sagte: »Irgendwas, Dad. Es ist ganz egal.«
    Die Wahrheit dieser Worte traf Maggie eiskalt. Nick berührte vorsichtig ihre Hand. Sie zuckte zurück.
    »Es tut mir leid«, sagte er leise. »Ich hab nicht gewußt, was ich sonst tun sollte. Wir hatten doch kein Geld. Und wir wußten nicht, wohin. Ich hab einfach nicht gewußt, wie ich richtig für dich sorgen kann.«
    »Aber du hast gesagt, du würdest für mich sorgen«, sagte sie tonlos. »Gestern abend. Da hast du's gesagt.«
    »Aber ich hab doch nicht gedacht, daß es so...«
    Sie sah, wie seine Hand sich um sein Knie legte. »Mag, hör mir doch mal zu. Ich kann nicht richtig für dich sorgen, wenn ich nicht zur Schule geh. Ich möchte Tierarzt werden. Ich muß erst die Schule machen, danach können wir für immer Zusammensein. Aber ich muß...«
    »Du hast gelogen.«
    »Hab ich nicht.«
    »Du hast deinen Vater von Clitheroe aus angerufen, als du weggegangen bist, um was zu essen zu kaufen. Du hast ihm gesagt, wo er uns finden kann. Stimmt's oder nicht?«
    Er sagte nichts, das war Bestätigung genug. Die nächtliche Landschaft glitt am Fenster vorbei. Steinmauern wichen den kahlen Gerippen von Hecken. Äcker und Weiden wichen wildem Land. Hinter dem Hochmoor erhoben sich wie Lancashires dunkle Wächter die Fells zum Himmel.
    Frank Ware hatte die Heizung eingeschaltet, aber Maggie war nie in ihrem Leben so kalt gewesen. Ihr war kälter als am Nachmittag, als sie über die Felder gelaufen waren, kälter als auf dem Steinboden der Remise. Ihr war kälter als am vergangenen Abend in Josies Versteck, als Nick auf ihr gelegen und sie mit Versprechen, die nichts bedeuteten, gewärmt hatte.

    Es endete dort, wo es angefangen hatte, bei ihrer Mutter. Als Frank Ware in den Hof von Cotes Hall hineinfuhr, ging die Tür des Verwalterhauses auf, und Juliet Spence kam heraus. Maggie hörte, wie Nick drängend flüsterte: »Mag! Warte!«, aber sie stieß die Wagentür auf. Der Kopf war ihr so schwer, daß sie ihn nicht heben konnte. Und gehen konnte sie auch nicht.
    Sie hörte, wie ihre Mutter sich näherte. Sie hörte das Klappern ihrer Stiefel auf den Pflastersteinen. Sie wartete. Worauf, wußte sie nicht. Auf den Zorn, die Vorhaltungen, die Strafe: es spielte keine Rolle. Was auch immer, es konnte sie nicht berühren. Nichts würde sie je wieder berühren.
    Juliet sagte in seltsam ungläubigem Ton: »Maggie?«
    Frank Ware redete. Maggie hörte Satzfetzen wie »... zu seinem Onkel mitgenommen. Ganz hübscher Marsch... Wahrscheinlich hungrig... todmüde... diese jungen Leute. Manchmal weiß man wirklich nicht, was man von ihnen...«
    Juliet räusperte sich und sagte: »Ich danke Ihnen vielmals. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn... Vielen Dank noch einmal, Frank.«
    »Ich glaube nicht, daß sie es bös gemeint haben«, sagte Frank Ware.
    »Nein«, antwortete Juliet. »Nein, sicher nicht.«
    Der Wagen stieß zurück, wendete, fuhr davon. Immer noch hielt Maggie den Kopf gesenkt. Noch drei klappernde Schritte, und sie konnte die Stiefelspitzen ihrer Mutter sehen.
    »Maggie.«
    Sie konnte nicht aufsehen. Sie war bleischwer. Sie spürte eine zarte Berührung auf ihrem Haar und zog sich furchtsam vor ihr zurück.
    »Was ist?«
    Die Stimme ihrer Mutter klang verwirrt. Mehr als verwirrt, sie

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