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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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sich nicht. Ihre Mutter stand auf und hob den Hörer ab. Sie sprach kurz und emotionslos. »Ja, sie ist hier. Frank Ware hat sie gefunden. Nein. Nein. Ich - ich glaube nicht, Colin. Nein, heute abend nicht.«
    Langsam legte sie den Hörer wieder auf und ließ die Hand wie bei einem Tier, dessen Ängste man zu beruhigen versucht, darauf liegen. Einen Moment lang tat sie nichts, als das Telefon anzustarren, und Maggie starrte sie an, dann ging sie zum Tisch zurück und setzte sich wieder.
    Maggie brachte ihr den Tee. »Kamille«, sagte sie. »Hier, Mom.«
    Maggie schenkte ein. Sie verschüttete etwas von dem Tee und griff hastig nach einer Serviette, um es aufzuwischen. Ihre Mutter faßte sie am Handgelenk.
    »Setz dich«, sagte sie.
    »Willst du nicht...«
    »Setz dich.«
    Maggie setzte sich. Juliet nahm die Teetasse von der Untertasse und umschloß sie mit beiden Händen. Sie blickte in den Tee, während sie langsam die Tasse drehte. Ihre Hände wirkten jetzt kräftig, ruhig und sicher.
    Maggie wußte, daß gleich etwas sehr Bedeutsames geschehen würde. Sie fühlte es. Es lag in der Luft und in dem Schweigen zwischen ihnen. Der Kessel zischte auf dem Herd noch immer leise vor sich hin, und der Herd knackte, während er langsam abkühlte. Die Geräusche verhallten als Hintergrundmusik, als ihre Mutter den Kopf hob und sagte: »Ich erzähle dir jetzt von deinem Vater.«

23
    Polly streckte sich in der Wanne aus. Sie wollte spüren, wie sich die Wärme zwischen ihren Beinen ausbreitete, während sie langsam tiefer sank, doch statt dessen schrie sie auf und drückte hastig die Augen zu. Sie merkte, wie das Negativbild ihres Körpers langsam auf der Innenseite ihrer Augenlider verblaßte. Winzige rote Pünktchen verdrängten es. Dann wurde alles schwarz. Das war es, was sie wollte, das Schwarz. Sie brauchte die Schwärze hinter ihren Augenlidern, sie brauchte sie in ihrem Kopf.
    Sie hatte jetzt stärkere Schmerzen als am Nachmittag im Pfarrhaus. Ihr ganzer Körper tat ihr so weh, als hätte man sie aufs Rad gespannt. Es war ein Gefühl, als wären sämtliche Muskeln und Sehnen ihres Unterleibs gerissen, als wäre sie bis auf die Knochen geprügelt worden. Ein ziehender Schmerz pochte in ihrem Rücken und ihrem Nacken. Aber dieser Schmerz würde mit der Zeit nachlassen. Der andere Schmerz jedoch, der würde wohl niemals vergehen.
    Wenn sie nur die Schwärze sah, würde sie sein Gesicht nicht mehr sehen müssen: die hochgezogenen Lippen, die entblößten Zähne, die Augen, die wie Schlitze waren. Wenn sie nur die Schwärze sah, würde sie nicht sehen müssen, wie er hinterher schwankend und keuchend aufstand und sich mit dem Handrücken über den Mund wischte, um ihren Geschmack zu beseitigen. Sie würde nicht sehen müssen, wie er an die Wand gelehnt seine Kleider in Ordnung brachte. Aber das andere würde sie natürlich dennoch aushalten müssen. Diese heisere, gemeine Stimme, die ihr klargemacht hatte, daß sie der letzte Dreck für ihn war. Die Roheit und die Gewalt und die Grausamkeit, mit der er sie gezüchtigt hatte. Damit würde sie leben müssen. Es gab kein Mittel, dies zu vergessen, auch wenn sie sich das noch so sehr wünschte.
    Das Schlimmste an allem war, zu wissen, daß sie das, was Colin ihr angetan hatte, verdient hatte. Schließlich wurde ihr Leben von den Gesetzen des Kults regiert, und sie hatte das wichtigste verletzt:
    Acht Worte erfüllen der Göttin Gebot
    Wenn es nicht schadet, tut, was ihr wollt.
    Damals, vor Jahren, hatte sie sich eingeredet, sie zöge den magischen Kreis, um Annie zu helfen. In Wirklichkeit jedoch hatte sie die ganze Zeit tief in ihrem Inneren geglaubt - und gehofft -, daß Annie sterben würde und daß ihr Tod ihr - Polly - Colin in seinem Schmerz, den er mit einem Menschen würde teilen wollen, der seine Frau gekannt hatte, näherbringen würde. Und daraus wiederum, hatte sie geglaubt, würde Liebe entstehen, die ihn schließlich vergessen lassen würde. Mit diesem Ziel im Auge - das sie edel, selbstlos und gut nannte - begann sie, Venus zu huldigen. Es spielte keine Rolle, daß sie sich dieser Göttin erst zugewandt hatte, als Annie schon beinah ein Jahr tot gewesen war. Die Göttin ließ sich nicht täuschen. Sie sah den Menschen tief in die Seele hinein. Die Göttin hatte das Gebet gehört: O Göttin, aller Himmel Zier
    sende Colin voll der Liebe zu mir, und erinnerte sich, wie drei Monate vor Annie Shepherds Tod deren Freundin Polly Yarkin - mit wunderbaren Kräften

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