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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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gewonnen zu haben schien. Für mich gibt es bei dieser Geschichte kein Schwarz oder Weiß. Das Grau dehnt sich in die Unendlichkeit, trotz aller Gesetze und meiner beruflichen Verpflichtung ihnen gegenüber.«
    »Aber wenn du dich entscheiden müßtest.«
    »Dann, denke ich, liefe es auf Verbrechen und Strafe hinaus.«
    »Juliet Spences Verbrechen gegen Sheelah Cotton?«
    »Nein. Sheelahs Verbrechen: daß sie das Kind mit dem Vater allein ließ und ihm so die Gelegenheit gab, das Kind zu verletzen; daß sie es vier Monate später allein im Auto zurückließ und so einer Fremden die Gelegenheit gab, es zu entführen. Ich vermute, ich würde mich fragen, ob die Strafe, das Kind dreizehn Jahre lang - oder für immer - zu verlieren, den Verbrechen, die gegen es begangen wurden, angemessen sei oder über sie hinausginge.«
    »Und dann?«
    Lynley sah ihn kurz an. »Dann würde ich in Gethsemane stehen und darum bitten, daß der Kelch an mir vorübergehe. Was vermutlich auch Sage getan hat.«

    Colin Shepherd war mittags bei ihr gewesen, aber sie hatte ihn nicht ins Haus gelassen. Maggie ging es nicht gut, hatte sie ihm erklärt. Hohes Fieber, Schüttelfrost, eine Magenverstimmung. Folgen ihres nächtlichen Ausflugs mit Nick Ware. Sie hatte eine zweite schlimme Nacht verbracht, aber jetzt schlief sie, und Juliet wollte unbedingt vermeiden, daß irgend etwas sie weckte.
    Sie kam nach draußen, um ihm das zu sagen. Sie zog die Tür hinter sich zu und stand fröstelnd in der Kälte. Das erstere schien ihm eine bewußte Maßnahme zu sein, um ihn nicht ins Haus zu lassen. Das zweite schien ihm ein Mittel zu sein, ihn möglichst schnell wieder loszuwerden. Wenn er sie wirklich liebte, sagte ihr zitternder Körper, würde er nicht wollen, daß sie hier draußen in der Kälte stand und mit ihm schwatzte.
    Ja, ihre Körpersprache war mehr als deutlich: fest verschränkte Arme, Finger tief in die Ärmel des Flanellhemds gebohrt, starre Haltung. Aber er redete sich ein, es sei nur die Kälte, und versuchte, aus ihren Worten eine versteckte Botschaft herauszulesen. Er sah ihr ins Gesicht, blickte ihr in die Augen. Höflichkeit und Distanz nahm er wahr. Ihre Tochter brauchte sie; war es nicht ziemlich egoistisch von ihm, zu erwarten, sie wolle oder würde sich in dieser Situation gerne ablenken lassen?
    »Juliet, wann können wir einmal in Ruhe miteinander sprechen?«
    Aber sie sah nur zum Fenster von Maggies Zimmer hinauf und antwortete: »Ich muß zu ihr. Sie träumt schlecht. Ich rufe dich später an, ja?«
    Damit verschwand sie wieder im Haus und schloß lautlos die Tür. Er hörte, wie sich der Schlüssel im Schloß drehte.
    Er hätte gern geschrien: Du hast es wohl vergessen, wie? Ich habe meinen eigenen Schlüssel. Ich kann trotzdem noch rein. Ich kann dich zwingen, mit mir zu reden. Ich kann dich zwingen, mir zuzuhören. Aber statt dessen starrte er lange und intensiv die Tür an und wartete darauf, daß sein Herz sich beruhigen würde.
    Er war an seine Arbeit zurückgekehrt, hatte seine Runden gemacht, drei Autofahrern geholfen, die die Straßenverhältnisse falsch eingeschätzt hatten, fünf Schafe über eine bröckelnde Mauer in der Nähe der Skelshaw Farm auf die Weide zurückgetrieben, die heruntergefallenen Steine wieder an ihren Platz gelegt, schließlich einen verwilderten Hund eingefangen, den man endlich in einem Schuppen außerhalb vom Dorf in die Enge getrieben hatte. Nichts als Routine, die sein Denken nicht in Anspruch nahm. Dabei hätten seine Gedanken dringend Ablenkung gebraucht.
    »Später« kam, und sie rief nicht an. Ruhelos ging er in seinem Haus umher, während er wartete. Er blickte durchs Fenster hinüber auf den tiefverschneiten Friedhof. Er sah zu den Weiden und den Hängen des Cotes Fell. Er machte Feuer im Kamin, als es dem Abend entgegenging, und beobachtete Leo, der sich davor aalte. Er machte sich eine Tasse Tee, gab einen Schuß Whisky dazu, vergaß, sie zu trinken. Zweimal hob er den Telefonhörer ab, um sich zu vergewissern, daß der Anschluß in Ordnung war. Es konnte ja sein, daß der Schnee die Leitungen heruntergerissen hatte. Aber das herzlose Summen des Freizeichens sagte ihm, daß irgend etwas von Grund auf nicht stimmte.
    Er wollte es nicht glauben. Sie machte sich Sorgen um Maggie, sagte er sich. Und sie war zu Recht besorgt. Mehr war es nicht.
    Um vier hielt er das Warten nicht mehr aus und rief an. Es war besetzt; immer noch besetzt um Viertel nach; besetzt um halb und jede

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