06 - Denn keiner ist ohne Schuld
Viertelstunde danach bis halb sechs, als er endlich begriff, daß sie den Hörer abgenommen hatte, damit ihre Tochter nicht vom Läuten des Telefons gestört wurde.
Von halb sechs bis sechs versuchte er, ihren Anruf herbeizuzwingen. Nach sechs begann er, ziellos herumzuwandern. Er ging jedes einzelne der kurzen Gespräche durch, die sie in den zwei Tagen seit Maggies Rückkehr von ihrem kurzen Ausflug in die große Welt geführt hatten. Er rief sich Juliets Ton ins Gedächtnis, wie ihre Stimme am Telefon geklungen hatte - resigniert irgendwie, als hätte sie sich mit etwas abgefunden, von dem er aber nicht wissen wollte, was es war -, und seine Hoffnungslosigkeit wurde immer größer.
Als um acht Uhr das Telefon läutete, riß er den Hörer in die Höhe und hörte eine barsche Stimme. »Wo, zum Teufel, bist du den ganzen Tag gewesen, Junge?«
Colin merkte, wie er unwillkürlich die Zähne aufeinanderbiß, und versuchte, sich zu entspannen. »Ich hatte Dienst, Vater. Wie immer.«
»Werd bloß nicht frech. Er hat eine Beamtin angefordert, und sie ist schon unterwegs. Hast du das gewußt, Jungchen? Hast du das gewußt?«
Colin drückte sich den Hörer ans Ohr und ging mit dem Telefon zum Küchenfenster. Er konnte das Licht von der Veranda des Pfarrhauses sehen, sonst jedoch war alles vom dichten Schneetreiben verschleiert.
»Wer hat eine Beamtin angefordert? Wovon sprichst du?«
»Der Kerl vom Yard.«
Colin wandte sich vom Fenster ab. Er sah auf die Uhr. Die Katzenaugen bewegten sich in gleichmäßigem Rhythmus, der Schwanz schwang dazu hin und her. Er sagte: »Woher weißt du das?«
»Manche von uns pflegen eben ihre Beziehungen, Jungchen. Manche von uns haben Kumpel, die für sie durchs Feuer gehen. Manche von uns tun den anderen einen Gefallen, damit sie später, wenn sie's mal brauchen, die Gegenleistung erwarten können. Das hab ich dir doch seit Jahren gepredigt, oder nicht? Aber du willst ja nicht lernen. Du bist ja so verdammt blöd, so eingebildet...«
Colin hörte das Klirren eines Glases, das Klappern von Eiswürfeln. »Und was trinkst du?« fragte er.
Das Glas krachte gegen irgendeinen harten Gegenstand - die Wand, ein Möbelstück, den Herd, die Spüle. »Du gottverdammter Pinscher, du! Ich versuch, dir zu helfen.«
»Ich brauche deine Hilfe nicht.«
»Haha! Du steckst so tief in der Scheiße, daß du sie nicht mal mehr riechst. Der Kerl hat fast eine Stunde mit Hawkins gequatscht. Er hat die Leute von der Gerichtsmedizin reingerufen und den Constable, der zu euch raufkam, als du die Leiche gefunden hattest. Ich weiß nicht, was er ihnen erzählt hat, aber das Resultat war, daß sie eine Beamtin angefordert haben. Und alles, was der Kerl vom Yard von jetzt an tut, hat Clitheroes Segen, das ist klar. Hast du das kapiert, Jungchen? Hawkins hat dich nicht angerufen und ins Bild gesetzt, hm? Sag schon - hat er dich informiert?«
Colin antwortete nicht.
»Was, glaubst du wohl, hat das zu bedeuten?« fuhr sein Vater fort. »Kannst du dir's selber zusammenreimen, oder soll ich dir ein Bild malen?«
Colin zwang sich, einen gleichgültigen Ton anzuschlagen. »Mir ist's recht, wenn sie eine Beamtin zuziehen, Vater. Du regst dich wegen nichts auf.«
»Was, zum Teufel, soll das jetzt wieder heißen?«
»Das heißt, daß ich ein paar Dinge übersehen habe. Der Fall muß wiederaufgerollt werden.«
»Du verdammter Idiot! Hast du eigentlich eine Ahnung, was es heißt, so ein Ermittlungsverfahren in einer Mordsache zu verpfuschen?«
Colin sah förmlich, wie die Venen in den Armen seines Vaters anschwollen. Er sagte: »Es ist schon öfter vorgekommen, daß ein Verfahren wiederaufgerollt wurde.«
»Du Einfaltspinsel! Du Esel!« zischte sein Vater. »Du hast für sie ausgesagt. Du hast einen Eid geleistet. Du hast ein Verhältnis mit ihr. Glaub ja nicht, daß das einer vergessen wird, wenn es hart auf hart...«
»Ich habe neue Informationen, und sie haben mit Juliet nichts zu tun. Ich werde sie dem Kerl vom Yard übergeben. Es ist ganz gut, daß er eine Beamtin angefordert hat. Er wird sie nämlich brauchen.«
»Was soll das heißen?«
»Daß ich weiß, wer's getan hat.«
Schweigen. Er hörte das Knistern des Feuers im Wohnzimmer und das Schmatzen des Hundes, der eifrig an einem Knochen nagte.
»Bist du sicher?«
Der Ton seines Vaters war argwöhnisch. »Hast du Beweise?«
»Ja.«
»Wenn du die Sache nämlich noch mehr vermasselst, Junge, dann gnade dir Gott. Und wenn es soweit ist.«
»Dazu kommt
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