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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Brendan hatte ihn nie anders gesehen. Sein Tweedanzug, sein Hemd, seine Schuhe und seine Krawatte waren ein schlüssiges Statement vornehmer Gediegenheit, und Brendan wußte, daß von ihm Nachahmung erwartet wurde. Alles, was Townley-Young trug, war gerade alt genug, um die angemessene Nachlässigkeit zu attestieren, die dem Landadel im Blute lag. Mehr als einmal hatte Brendan seinen Schwiegervater gemustert und sich gefragt, wie er es schaffte, sich eine Garderobe zu halten, die - vom Hemd bis zu den Schuhen -, auch wenn sie nagelneu war, immer aussah, als sei sie mindestens zehn Jahre alt.
    Townley-Young warf einen Blick auf Brendans wollenen Morgenrock und schürzte in schweigender Mißbilligung die Lippen über die schlampige Schleife, mit der Brendan den Gürtel gebunden hatte. Wirkliche Männer machen nur einen Knoten in ihren Morgenrockgürtel, sagte sein Blick, und die beiden Enden, die von der Taille herabfallen, sind immer absolut gleich lang, du Schwachkopf.
    Brendan trat auf den Korridor und zog die Tür hinter sich zu. »Sie schläft noch«, erklärte er.
    Townley-Young fixierte die Tür, als könnte er durch das Holz hindurchsehen und sich ein Bild von der Stimmung seiner Tochter verschaffen. »Wieder eine schlimme Nacht?« fragte er.
    So konnte man es nennen, dachte Brendan. Er war nach elf nach Hause gekommen und hatte gehofft, sie würde schlafen. Statt dessen hatte er, gezwungen, seine ehelichen Pflichten zu erfüllen, unter der Bettdecke einen erbitterten Kampf ausgetragen. Zum Glück hatte er es geschafft, sie zu befriedigen, aber auch nur, weil das Zimmer dunkel gewesen war und sie es sich angewöhnt hatte, ihm bei ihren zweimal wöchentlich stattfindenden nächtlichen Begegnungen gewisse angelsächsische Reizwörter ins Ohr zu flüstern, die es ihm ermöglichten, frei zu phantasieren. Er stöhnte und zuckte unter ihr, äußerte sein Gefallen, doch vor seinen Augen hatte er Polly Yarkin.
    In der vergangenen Nacht war Becky aggressiver gewesen als sonst. Ihre Zuwendungen waren von Zorn geleitet gewesen. Sie hatte ihm weder Vorwürfe gemacht, noch hatte sie geweint, als er nach Gin riechend und niedergeschlagen, sichtlich von Liebeskummer gequält, in ihr Schlafzimmer gekommen war. Vielmehr hatte sie wortlos Entschädigung in der Form verlangt, wie er sie am wenigsten zu leisten wünschte.
    Es war also tatsächlich eine schlimme Nacht gewesen, wenn auch nicht in dem Sinn, wie sein Schwiegervater es gemeint hatte. »Es war etwas unangenehm«, murmelte er und hoffte, Townley-Young würde es auf seine Tochter beziehen.
    »Ah ja«, sagte Townley-Young. »Nun, wenigstens können wir sie jetzt ein für allemal beruhigen. Das wird ihr in ihrem Zustand sicher guttun.«
    Und er hatte erklärt, daß die Renovierungsarbeiten in Cotes Hall nun endlich ohne Unterbrechungen voranschreiten würden. Brendan nickte nur zu seinen Erklärungen und bemühte sich, Vorfreude zu zeigen, während er das Gefühl hatte, sein Leben werde ihm entzogen.
    Als er sich jetzt dem Crofters Inn näherte, fragte er sich, wieso er sich so sehr darauf verlassen hatte, daß Cotes Hall für sie immer unerreichbar bleiben würde. Er war schließlich mit Becky verheiratet. Er hatte sein Leben verpfuscht. Wieso schien es ihm eine bleibende Katastrophe zu sein, wenn sie ihr eigenes Zuhause hatten?
    Er fühlte sich plötzlich in einem Käfig gefangen. Er wollte heraus. Wenn er schon seiner Ehe nicht entfliehen konnte, dann konnte er wenigstens aus dem Haus fliehen. Und so war er in den Wintermorgen hinausgelaufen.
    »Wo gehen Sie hin, Bren?«
    Josie Wragg hockte auf einem der beiden Steinpfosten an der Einfahrt zum Parkplatz des Crofters Inn. Sie hatte Schnee geschaufelt, saß jetzt mit den Beinen baumelnd da und sah so tieftraurig aus, wie Brendan sich fühlte. Alles an ihr schien zu hängen: der ganze Körper, die Arme und Beine, die Füße. Selbst ihr Gesicht wirkte schwer und schlaff.
    »Ich mach nur einen Spaziergang«, antwortete er. Und weil sie so niedergedrückt aussah und er genau wußte, wie sehr diese Stimmung das ganze Leben verdunkelt, fügte er hinzu: »Hast du Lust mitzukommen?«
    »Ich kann nicht. Die hier sind nichts für den Schnee.«
    Sie hob ihre Füße, um ihn die Gummistiefel sehen zu lassen. Sie waren riesig, viel zu groß für sie. Mindestens drei Paar Kniestrümpfe waren über ihren Rändern umgeschlagen. »Meine sind mir zu klein. Und wenn ich meiner Mutter sag, daß ich neue brauche, kriegt sie einen Anfall.

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