06 - Denn keiner ist ohne Schuld
zu besitzen. Seit zwei Monaten, seit Helen seine Geliebte geworden war, sagte er sich, daß dieses Bedürfnis sich legen würde, wenn sie nur einwilligte, ihn zu heiraten. Das Verlangen, zu dominieren, konnte in einer Atmosphäre der Partnerschaft, der Gleichwertigkeit und des Dialogs kaum gedeihen. Und wenn dies die wesentlichen Bestandteile der Beziehung waren, die er sich mit ihr wünschte, dann würde jene Triebkraft in ihm, die er so dringend beherrschen und bestimmen wollte, bald geopfert werden müssen.
Das Problem war, daß er selbst jetzt, da er wußte, daß sie verstimmt war, da er den Grund dafür kannte und ihr, wenn er ehrlich bleiben wollte, keine Schuld daran geben konnte, daß er selbst dann das völlig irrationale Verlangen verspürte, sie zu unterwürfigem und verzeihungsheischendem Eingeständnis einer Schuld zu zwingen, die sie logischerweise mit der Rückkehr in sein Bett hätte büßen müssen. Und darin lag das zweite und drängendere Problem. Bei Morgengrauen war er, erregt von der Wärme ihres Körpers, der sich im Schlaf an den seinen drängte, erwacht. Er hatte mit der Hand über die Linie ihrer Hüfte gestrichen, und noch im Schlaf hatte sie sich herumgedreht und war voll schläfriger Zärtlichkeit in seine Arme gekommen. Dann hatten sie still unter verhedderten Decken gelegen, und, den Kopf an seiner Schulter, die Hand auf seiner Brust, hatte sie gesagt: »Ich kann dein Herz schlagen hören.«
»Na, Gott sei Dank«, hatte er geantwortet. »Das heißt, daß du es mir noch nicht gebrochen hast.«
Darauf hatte sie gelacht, ihm einen Kuß gegeben, gegähnt und eine Frage gestellt, auf die er, vernarrter Tölpel, der er war, ihr brav und direkt Antwort gegeben hatte. Der Streit war nicht mehr zu vermeiden gewesen. »Du machst Frauen zu Objekten, du machst mich zum Objekt, Tommy, mich, die du zu lieben behauptest«, hatte Helen ihm vorgeworfen. Seine Antwort hatte Helen jedenfalls bewogen, sich ohne weitere Diskussion anzukleiden, um zu gehen. Nicht im Zorn, o nein, jedoch aus dem Bedürfnis heraus - und dies nicht zum erstenmal -, sich »damit allein auseinanderzusetzen«.
Du lieber Gott, das Bett macht uns wirklich zu Narren, dachte er. Einen Augenblick völliger Hingabe und danach lebenslanges Bedauern. Und das Verflixte war, daß er, während er ihr beim Ankleiden zusah, die Hitze und das wachsende Drängen seiner eigenen Begierde spürte. Sein Körper war der schlagende Beweis dafür, daß ihr Vorwurf berechtigt war. Der Fluch, ein Mann zu sein, schien ihm unausrottbar in dem aggressiven und primitiven Trieb verwurzelt, der daran schuld war, daß der Mann die Frau begehrte, ohne Rücksicht auf die Umstände und manchmal - zu seiner Schande - gerade aufgrund der Umstände. Er verfluchte den ewigen Kampf des Fleisches gegen den Geist.
»Helen«, sagte er.
Sie ging zur Kommode und nahm seine schwere silberne Bürste, um sich damit das Haar zu richten. Ein kleiner Drehspiegel stand zwischen Familienfotos, sie stellte ihn auf ihre Größe ein.
Er wollte nicht mit ihr streiten, aber er fühlte sich genötigt, sich zu verteidigen. Aufgrund der Frage jedoch, die sie zum Gegenstand ihres Streits gemacht hatte, konnte seine Verteidigung nur auf einer gründlichen Durchleuchtung ihres Lebenswandels aufbauen. Schließlich war ihre Vergangenheit um keinen Deut besser als seine.
»Helen«, sagte er. »Wir sind beide erwachsen. Wir haben eine gemeinsame Geschichte. Aber wir haben auch jeder eine eigene Geschichte, und ich glaube nicht, daß es uns hilft, wenn wir diese vergessen machen wollen. Oder wenn wir Urteile aufgrund von Situationen fällen, die vielleicht schon vor unserer Beziehung bestanden haben. Ich meine jetzt, vor dieser gegenwärtigen Beziehung. Und ich meine ihren körperlichen Aspekt.«
Im Geist verdrehte er die Augen über sein tolpatschiges Bemühen, dieser Unstimmigkeit zwischen ihnen ein Ende zu bereiten. Verdammt noch mal, wir lieben uns doch, hätte er am liebsten gesagt. Ich begehre dich, ich liebe dich, und du mich doch verdammt noch mal auch. Hör also auf, so lächerlich empfindlich auf etwas zu reagieren, das mit dir überhaupt nichts zu tun hat, weder mit meinen Gefühlen für dich noch mit dem, was ich von dir möchte, und zwar mit dir zusammen für den Rest unseres Lebens. Ist das klar, Helen? Antworte mir! Ist das klar? Gut. Das freut mich. Dann komm jetzt wieder zu Bett.
Sie legte die Haarbürste weg, aber sie drehte sich nicht herum. Sie hatte ihre Schuhe noch
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