06 - Denn keiner ist ohne Schuld
ich nicht sein möchte.«
»Meine Frau.«
»Nein. Lord Ashertons Spielgefährtin. Inspector Lynleys neue heiße Tussi. Anlaß für ein Augenzwinkern und ein verständnisinniges Grinsen zwischen dir und Denton, wenn er dir das Frühstück bringt.«
»Okay. Das ist verständlich. Dann heirate mich. Das will ich seit zwölf Monaten und will es immer noch. Wenn du dich dazu durchringen kannst, diese Affäre auf die konventionelle Art zu legitimieren - was ich von Anfang an vorgeschlagen habe, wie du weißt -, brauchst du dich in Zukunft um Klatsch und mögliche Abschätzigkeiten nicht mehr zu sorgen.«
»So einfach ist das nicht. Es geht nicht um den Klatsch.«
»Du liebst mich nicht?«
»Doch, natürlich liebe ich dich. Du weißt, daß ich dich liebe.«
»Was ist es dann?«
»Ich lasse mich nicht zum Objekt machen.«
Er nickte bedächtig. »Und du hast dich in den vergangenen zwei Monaten wie ein Objekt gefühlt? Wenn wir zusammen waren? Letzte Nacht vielleicht?«
Ihr Blick wurde unsicher. Er sah, wie ihre Finger sich um den Griff der Haarbürste krümmten. »Nein. Natürlich nicht.«
»Aber heute morgen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Gott, ich hasse es, mit dir zu streiten.«
»Wir streiten nicht, Helen.«
»Du versuchst, mir eine Falle zu stellen.«
»Ich versuche, die Wahrheit herauszufinden.«
Er hätte ihr gern mit der Hand über das weiche Haar gestrichen, sie zu sich herumgedreht, ihr Gesicht mit seinen Händen umschlossen. Er begnügte sich damit, ihr die Hände auf die Schultern zu legen. »Wenn wir nicht mit der Vergangenheit des anderen leben können, haben wir keine Zukunft. Das ist der springende Punkt, auch wenn du etwas anderes behauptest. Ich kann mit deiner Vergangenheit leben: St. James, Cusick, Rhys Davies-Jones und mit wem du sonst noch geschlafen hast, sei es eine Nacht oder ein Jahr. Die Frage ist: Kannst du mit meiner leben? Denn darum geht es doch in Wirklichkeit. Mit meiner Einstellung Frauen gegenüber hat das alles überhaupt nichts zu tun.«
»Es hat alles damit zu tun.«
Er bemerkte den Nachdruck in ihrer Stimme und sah die Resignation in ihrem Gesicht. Da begriff er und begriff mit Trauer die Wahrheit. Nun drehte er sie doch zu sich herum. »Ach Gott, Helen«, sagte er seufzend. »Ich habe keine andere Frau gehabt. Ich habe nicht mal nach einer ausgeschaut.«
»Ich weiß«, sagte sie und legte den Kopf an seine Schulter. »Wieso hilft das nicht?«
Nachdem Sergeant Barbara Havers die zweite Seite des weitschweifigen Memorandums aus der Feder von Chief Superintendent Sir David Hillier gelesen hatte, knüllte sie sie zu einer kleinen Kugel zusammen und warf sie, wie schon die erste, geschickt quer durch Lynleys Büro in den Papierkorb, den sie zur Übung neben die Tür gestellt hatte. Sie gähnte, massierte sich mit den Fingern einen Moment energisch die Kopfhaut, stützte den Kopf auf die geballte Faust und las weiter. »Papst Davids Enzyklika zur reifen Dienstauffassung«, hatte McPherson in der Kantine mit gesenkter Stimme gesagt.
Alle waren sich darin einig, daß sie Wichtigeres zu tun hatten, als Hilliers Epistel über die »Schwerwiegenden Verpflichtungen der Polizei bei Bearbeitung eines Falles mit möglicher Verbindung zur IRA« zu lesen. Sie verstanden selbstverständlich, daß der Anlaß zu diesem Schreiben die Entlassung der Sechs von Birmingham gewesen war - und keiner von ihnen hatte das geringste Verständnis für jene Angehörigen der West Midlands Polizei, gegen die infolge davon ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war -, aber das änderte nichts an der Tatsache, daß sie alle viel zu sehr mit ihrer eigenen Arbeit beschäftigt waren, um dem Traktat ihres Chief Superintendent mehr als flüchtige Aufmerksamkeit zu gönnen.
Barbara allerdings strampelte gegenwärtig nicht wie einige ihrer Kollegen in einem Morast von einem halben Dutzend Fällen zugleich. Sie hatte Urlaub. In diesen zwei lang ersehnten freien Wochen hatte sie vorgehabt, das alte Haus ihrer Eltern in Acton herzurichten, um es dann einem Makler zu übergeben und selbst in ein kleines Cottage zu ziehen, das sie in Chalk Farm, hinter einem großen Eduardischen Haus versteckt, aufgestöbert hatte. Das Vorderhaus war in vier Wohnungen und ein geräumiges Parterreapartment aufgeteilt, deren Mieten jedoch für Barbaras begrenztes Budget unerschwinglich waren. Doch das Cottage, hinten im Garten unter einer Akazie, war praktisch für jeden, der nicht bereit war, wie in einem Puppenhaus zu
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