06 - Denn keiner ist ohne Schuld
Arbeitsplatte, was gespült werden mußte, spritzte er das nach Zitrone riechende Spülmittel in das Glas und ließ Wasser hineinlaufen, bis es schäumte.
»Jetzt geht's um deine Karriere. Von Constable Nit, der in der Besserungsanstalt den Jugendlichen Beine macht, bis zum Chief Constable von Hutton-Preston werden alle von dieser Geschichte hören. Du hast einen Fleck auf deiner weißen Weste, Col, und wenn das nächste Mal beim CID eine Stelle frei wird, wird das leider keiner vergessen. Ist dir das klar?«
Colin zog den gestreiften Spüllappen vom Wasserhahn herunter und tauchte ihn mit einer Präzision in das Glas, wie er sie vielleicht bei der Reinigung seiner Gewehre angewendet hätte. Er drückte ihn zu einem dicken Bausch zusammen, wischte damit das Glas mehrmals aus und säuberte dann sorgfältig seinen Rand. Wie merkwürdig, daß es ihm selbst heute noch passieren konnte, in einem unerwarteten Moment wie diesem plötzlich von der Erinnerung an Annie überwältigt zu werden. Stets überfiel sie ihn ohne jede Warnung - ein blitzartiges Aufwallen von Kummer und Sehnsucht, das ihm aus den Lenden bis zum Herz hinaufschoß -, und stets wurde es durch eine Alltäglichkeit heraufbeschworen, so daß er nie darüber nachdachte, wie heimtückisch der Angriff war, der ihn stets völlig unvorbereitet traf. Ein Zittern schüttelte ihn. Er rieb das Glas noch energischer.
»Du glaubst, ich kann dir auch jetzt noch helfen, nicht, Junge?« fuhr sein Vater fort. »Ich habe einmal eingegriffen...«
»Weil du selbst es wolltest. Ich hab dich hier nicht gebraucht, Vater.«
»Hast du eigentlich völlig den Verstand verloren? Bist du verrückt geworden? Dieses Weib hat dir wohl total den Kopf verdreht, was?«
Colin spülte das Glas aus, trocknete es mit der gleichen Sorgfalt, mit der er es gesäubert hatte, und stellte es neben den Toaströster, der, wie er bemerkte, staubig war und oben voller Krümel. Erst dann sah er seinen Vater an.
Kenneth Shepherd stand, wie das seine Gewohnheit war, direkt vor der Tür und blockierte den Fluchtweg.
»Was, zum Teufel, hast du dir eigentlich gedacht?« fragte Kenneth Shepherd. »Was, verdammt noch mal, hast du dir dabei gedacht?«
»Das haben wir alles schon xmal besprochen. Es war ein Unfall. Ich habe Hawkins informiert. Ich habe mich genau an die Vorschriften gehalten.«
»Den Teufel hast du! Du hast mit einer Leiche dagestanden, die aus sämtlichen Poren nach Mord gestunken hat. Die Zunge in Fetzen gebissen. Der Körper aufgedunsen wie der von einem Schwein. Das ganze Umfeld verwüstet, als hätte er mit dem Teufel persönlich Ringkämpfe ausgetragen. Und das nennst du Unfall? Hast du das deinem Vorgesetzten gemeldet? Heiliger Herr im Himmel, ich versteh nicht, warum sie dich nicht längst an die Luft gesetzt haben.«
Colin verschränkte die Arme auf der Brust, lehnte sich an die Arbeitsplatte und bemühte sich, ruhig und langsam zu atmen. Sie wußten beide, warum. Er faßte die Antwort in Worte. »Du hast ihnen keine Chance gegeben, Vater. Aber mir hast du auch keine Chance gegeben.«
Das Gesicht seines Vaters lief rot an. »Heiliger Vater! Keine Chance! Das ist doch hier kein Spiel. Hier geht's immer noch um Leben und Tod. Nur mußt du diesmal allein sehen, wie du damit fertig wirst, Jungchen.«
Er hatte nach der Rückkehr von ihrer Wanderung, sobald sie ins Haus getreten waren, die Ärmel aufgekrempelt. Jetzt rollte er sie wieder herunter, zog den Stoff über seine Arme und klopfte und zupfte, bis er richtig lag. An der Wand rechts von ihm wedelte Annies Katzenuhr mit dem schwarzen Pendelschweif und rollte die Augen mit jedem Tick und Tack. Er mußte gehen, wenn er noch zu seinem »Mäuschen« wollte. Colin brauchte nur abzuwarten.
»Verdächtige Umstände erfordern die Zuziehung des CID. Das weißt du doch, oder?«
»Ich habe das CID zugezogen.«
»Ja, den verdammten Fotografen.«
»Die ganze Mannschaft von der Spurensicherung war da. Ich habe gesehen, was sie gesehen haben. Es gab nicht einen einzigen Anhaltspunkt dafür, daß außer Mr. Sage jemand am Tatort war. Im Schnee waren nur seine Fußabdrücke. Es gab keine n Zeugen, der an diesem Abend noch eine andere Person auf dem Fußweg gesehen hatte. Das Umfeld war verwüstet, weil er Krämpfe gehabt hatte. Man brauchte ihn nur anzusehen, um zu erkennen, daß er irgendeinen heftigen Anfall gehabt hatte. Ich brauchte jedenfalls keinen Inspector, um mir das zu sagen.«
Sein Vater ballte die Fäuste, schwang die Arme
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