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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Sie hereingelassen?«
    »Ich hab geklopft. Sie reagierte nicht. Da bin ich einfach reingegangen.« »Die Tür war nicht versperrt?«
    »Ich hab einen Schlüssel.«
    Er sah, wie St. James einen schnellen Blick auf Lynley warf, und fügte hinzu: »Nicht von ihr. Von Townley-Young. Die Schlüssel zum Pförtnerhäuschen, zum Herrenhaus, für alle Gebäude auf dem Anwesen. Er ist der Eigentümer. Sie ist eine Art Verwalterin.«
    »Sie weiß, daß Sie die Schlüssel haben?«
    »Ja.«
    »Zur Sicherheit?«
    »Könnte man sagen.«
    »Und benutzen Sie die Schlüssel häufig? Bei Ihren dienstlichen Runden?«
    »Nein, im allgemeinen nicht.«
    Lynley sah, daß St. James den Constable mit zusammengezogenen Brauen nachdenklich betrachtete. Er sagte: »War schon ein bißchen riskant, da einfach an dem Abend in ihr Haus zu marschieren, finden Sie nicht? Was wäre denn gewesen, wenn Sie sie mit Mr. Sage im Bett angetroffen hätten?«
    Shepherds Gesicht spannte sich, aber er antwortete ganz ruhig: »Da hätte ich ihn wahrscheinlich eigenhändig umgebracht.«

8
    Die erste Viertelstunde verbrachte Deborah in der Johanneskirche. Unter der Stichbalkendecke hindurch ging sie langsam den Mittelgang entlang zum Altarraum und ließ dabei einen behandschuhten Finger über die Schneckenverzierungen des Gestühls gleiten. Gegenüber der Kanzel und von den übrigen durch eine Pforte mit gedrehten Säulen getrennt, stand eine einzelne Bank. Das Törchen trug ein kleines Bronzeschild mit geschwärzter Schrift. Townley-Young, hieß es da. Deborah öffnete die Pforte und trat ein, während sie sich fragte, was für Leute das waren, die es nötig hatten, diesen unschönen alten Brauch aufrechtzuerhalten und sich von denen abzukapseln, die sie als unter ihrem Stand betrachteten.
    Sie setzte sich auf die schmale Bank und sah sich um. Die Luft in der Kirche war muffig und kalt, und als sie ausatmete, war der Hauch zu sehen. An einer Säule hing die Tafel mit den Liedernummern vom letzten Gottesdienst. Nummer 338 stand an erster Stelle, und ohne sonderliches Interesse schlug sie eines der Gesangbücher an der entsprechenden Stelle auf und las:

    Lamm Gottes, das du getragen hast
    Schand und Sünde deiner Herde,
    Dich beugt am Kreuze nun die Last
    Von Streit und Furcht auf diese Erde.

    Und dann weiter:

    Wie dereinst du, so wollen wir sorgen
    Für alle Lahmen, Blinden, Kranken,
    Und auferstehen wollen wir alle Morgen,
    Den Schmerz zu teilen, dir zu danken.

    Sie starrte auf die Worte, und ihre Kehle schnürte sich schmerzhaft zu. Es war, als seien die Verse für sie geschrieben. Aber das waren sie nicht. Nein, das waren sie nicht.
    Heftig klappte sie das Buch zu. Links von der Kanzel hing schlaff eine Kirchenfahne an einer Metallstange herab. Winslough stand in eingestickten gelben Buchstaben auf blaßblauem Hintergrund. Darunter prangte eine Darstellung der Johanneskirche in wattiertem Patchwork, aus dem an mehreren Stellen die Füllung quoll und wie Schnee auf dem Glockenturm und dem Ziffernblatt der Uhr lag. Sie überlegte, bei welchen Gelegenheiten die Fahne wohl gebraucht wurde, wann man sie hier aufgehängt, wer sie angefertigt hatte und warum. Sie stellte sich vor, wie eine alte Frau aus der Gemeinde an dem Bild arbeitete, sich gewissermaßen die Gunst des Herrn erstickte, indem sie diesen Schmuck für sein Heiligtum anfertigte. Wie lange mochte sie gebraucht haben? Hatte sie Hilfe gehabt? Wußte jemand Näheres darüber? Gab es jemanden, der diese Art der Kirchengeschichte pflegte?
    Ach, diese Spielchen, dachte Deborah. Was für Mühe sie sich gab, nur um ihre Gedanken an der Kandare zu halten. Wie wichtig es war, die Ruhe und den Frieden zu spüren, die ein Besuch in der Kirche und ein Zwiegespräch mit Gott verhießen.
    Aber deshalb war sie nicht hierhergekommen. Sie war hergekommen, weil ein Spaziergang am späten Nachmittag in Begleitung ihres Mannes und des Mannes, der sein engster Freund war, der einmal ihr Liebhaber gewesen war und der Vater des Kindes, das sie hätte haben können - niemals haben würde -, ihr der beste Weg schien, dem Gefühl zu entkommen, verraten worden zu sein.
    Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Lancashire geschleppt, dachte sie und lachte schwach bei dem Gedanken; gerade sie, die letztlich die Verräterin war.
    Sie hatte die Unterlagen zur Adoption unter Simons Schlafanzügen und Socken entdeckt und war tief empört gewesen, daß er dies zum Thema ihrer gemeinsamen Tage fern des Londoner Alltags machen

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