06 - Denn keiner ist ohne Schuld
nichts dahinter. Ich finde, daran sollten Sie denken, meinen Sie nicht?«
Lynley nickte. »Doch, das ist klug von dir. Ich bin ganz deiner Meinung.«
»Ja dann...«
Sie neigte nickend den Kopf mit dem völlig verschnittenen Haar, und einen Moment sah es aus, als wollte sie knicksen. Statt dessen jedoch entfernte sie sich rückwärts gehend in Richtung Küche. »Sie wollen jetzt sicher essen, nicht wahr? Die Pâté hat meine Mutter selbst gemacht. Der Räucherlachs ist ganz frisch. Und wenn Sie irgendwas brauchen...«
Ihre Stimme verklang, als die Tür hinter ihr zufiel. »Das ist Josie«, sagte St. James, »für den Fall, daß man dich nicht mit ihr bekannt gemacht hat. Eine überzeugte Verfechterin der Unfalltheorie.«
»Das ist mir bereits aufgefallen.«
»Was hat eigentlich Sergeant Hawkins gesagt? Ich nehme an, das war das Telefongespräch, das Josie zufällig mitgehört hat.«
»Richtig.«
Lynley schob ein Stück Lachs in den Mund und stellte angenehm überrascht fest, daß er tatsächlich ganz frisch war. »Er wollte nur noch einmal darauf hinweisen, daß er von Anfang an den Anordnungen aus Hutton-Preston gefolgt ist. Die Dienststelle Hutton-Preston wurde über Shepherds Vater mit der Sache befaßt, und was Hawkins angeht, war von dem Moment an alles in bester Ordnung. Und ist es immer noch. Er steht also voll hinter seinem Mann, Shepherd, und ist überhaupt nicht begeistert davon, daß wir hier herumschnüffeln.«
»Nun ja, das ist verständlich. Er ist schließlich für Shepherd verantwortlich. Wenn dem Dorf-Constable etwas Negatives nachgesagt werden kann, wird sich das auch in Hawkins' Akte nicht gut ausnehmen.«
»Er wollte mich außerdem wissen lassen, daß Mr. Sages Bischof mit der Untersuchung, der Leichenschau und dem Urteil völlig zufrieden war.«
St. James sah von seinem Garnelencocktail auf. »Er war bei der Leichenschau?«
»Er hat offensichtlich einen Vertreter geschickt. Und Hawkins scheint zu glauben, wenn die Untersuchung und die Leichenschau schon den Segen der Kirche haben, dann sollte verdammt noch mal auch das Yard seinen Segen geben.«
»Er ist also nicht zur Kooperation bereit?«
Lynley spießte das nächste Stück Lachs auf. »Es ist keine Frage der Kooperation, St. James. Er weiß, daß die Untersuchung nicht ganz korrekt war und daß es für ihn und seinen Mann die beste Verteidigung ist, wenn sie uns Gelegenheit geben, die Richtigkeit ihrer Schlußfolgerungen zu beweisen. Aber sympathisch braucht ihnen das deswegen noch lange nicht zu sein.«
»Es wird ihnen noch unsympathischer werden, wenn wir uns etwas eingehender mit Juliet Spences Gesundheitszustand an dem fraglichen Abend befassen.«
»Was heißt das?« fragte Deborah.
Lynley berichtete, was der Constable ihnen über die Erkrankung der Frau an dem Abend, als der Pfarrer gestorben war, gesagt hatte. Er erklärte die Beziehung zwischen dem Constable und Juliet Spence und schloß mit den Worten: »Und ich muß zugeben, St. James, ich habe den Verdacht, daß du mich vielleicht doch für nichts und wieder nichts hierher gehetzt hast. Es macht zwar wirklich keinen guten Eindruck, daß Colin Shepherd nach einer flüchtigen Tatortbesichtigung durch die Spurensicherung des CID Clitheroe den Fall ganz allein bearbeitet hat, nur mit sporadischer Hilfe seines Vaters, aber wenn die Frau ebenfalls erkrankte, verleiht das der Unfalltheorie weit mehr Wahrscheinlichkeit, als wir ihr zunächst zubilligen wollten.«
»Es sei denn«, bemerkte Deborah, »der Constable lügt, um sie zu schützen, und sie war überhaupt nicht krank.«
»Ja, das ist natürlich eine Möglichkeit, die wir nicht ignorieren können. Das würde allerdings bedeuten, daß die beiden gemeinsame Sache gemacht haben. Wenn aber sie allein schon kein Motiv hatte, den Mann zu ermorden - was natürlich im Moment noch strittig ist -, was sollte dann das gemeinsame Motiv gewesen sein?«
»Wenn wir einen Schuldigen suchen, geht es nicht nur darum, Motive aufzudecken«, sagte St. James. Er schob seinen Teller auf die Seite. »An dieser Erkrankung der Frau an dem fraglichen Abend stimmt etwas nicht. Das paßt nicht zusammen.«
»Wie meinst du das?«
»Shepherd hat uns erzählt, daß sie sich mehrmals übergeben hat. Außerdem hatte sie hohes Fieber.«
»Und?«
»Das sind nicht die Symptome einer Vergiftung mit Giftwasserschierling.«
Lynley stocherte einen Moment in seinem letzten Stück Lachs herum, gab ein paar Tropfen Zitrone darauf, ließ es aber dann doch
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