06 - Denn keiner ist ohne Schuld
bezahlen doch auch dafür, daß sie die Totenmaske der Königin von Schottland sehen dürfen.«
»Ganz zu schweigen von den Verliesen im Tower«, warf St. James ein.
»Richtig, weshalb an die Kronjuwelen Zeit verschwenden, wenn es den Richtblock zu sehen gibt?« fügte Lynley hinzu. »Das Verbrechen macht sich nicht bezahlt, aber Tod und Folter locken die Leute allemal. Sie sind sogar bereit, dafür Geld auszugeben.«
»Ist das etwa Ironie von einem Mann, der mindestens fünfmal am zweiundzwanzigsten August zum Bosworth Field gepilgert ist?« fragte Deborah heiter. »Eine alte Kuhweide irgendwo draußen in der Prärie, wo man aus dem Brunnen trinkt und Richards Geist schwört, daß man auf Seiten der Yorks gekämpft hätte?«
»Das ist nicht Tod und Folter«, erklärte Lynley mit einiger Würde und hob sein Glas, um ihr zuzuprosten. »Das ist Geschichte, mein Kind. Es muß doch jemanden geben, der bereit ist, klare Verhältnisse zu schaffen.«
Die Tür zur Küche flog auf, und Josie Wragg brachte ihnen ihre Vorspeisen. »Räucherlachs für Sie«, murmelte sie, »Pâté für Sie und Garnelencocktail für Sie«, während sie die Teller auf dem Tisch verteilte. Danach versteckte sie Tablett und ihre Hände hinter ihrem Rücken. »Haben Sie genug Brötchen?«
Sie stellte die Frage an alle und machte dabei einen recht erfolglosen Versuch, Lynley unauffällig zu mustern.
»Danke«, sagte St. James.
»Möchten Sie mehr Butter?«
»Nein, danke.«
»Und der Wein ist in Ordnung? Mr. Wragg hat den ganzen Keller voll, falls der hier nicht mehr gut ist. Das passiert bei Wein manchmal, wissen Sie. Da muß man vorsichtig sein.
Wenn man ihn nicht richtig lagert, trocknet der Korken aus und schrumpft, und dann kommt Luft rein, und der Wein wird ganz salzig. Oder so was ähnliches.«
»Der Wein ist sehr gut, Josie. Und wir freuen uns schon auf den Bordeaux.«
»Mr. Wragg ist ein richtiger Weinkenner, ja.«
Sie bückte sich, um sich am Fuß zu kratzen, und sah dabei zu Lynley auf. »Sie sind aber nicht im Urlaub hier, oder?«
»Nicht direkt, nein.«
Sie richtete sich auf, packte wieder das Tablett hinter ihrem Rücken. »Das hab ich mir gleich gedacht. Meine Mutter hat gesagt, daß Sie ein Detektiv aus London sind, und zuerst hab ich gedacht, Sie wären gekommen, weil Sie ihr was über Paddy Lewis sagen wollten, was sie mir natürlich nicht erzählt hätte, weil sie Angst gehabt hätte, daß ich es Mr. Wragg weitersagen würde. Ich würd das natürlich nie im Leben tun, nicht mal, wenn sie vorhätte, mit ihm wegzugehen - mit Paddy, meine ich - und mich hier mit Mr. Wragg zurückzulassen. Ich weiß schließlich, was wahre Liebe ist. Aber so ein Detektiv sind Sie wohl nicht, was?«
»Was für einer?«
»Ach, Sie wissen schon. Wie im Fernsehen. So einer, den man engagiert.«
»Ein Privatdetektiv? Nein, das bin ich nicht.«
»Zuerst hab ich gedacht, Sie wären einer. Aber dann hab ich Sie eben telefonieren hören. Ich hab nicht gelauscht, ehrlich nicht. Aber Ihre Tür war nur angelehnt, und ich hab grade frische Handtücher in die Zimmer gebracht, und da hab ich zufällig gehört, was Sie gesagt haben.«
Sie machte eine kleine Pause, dann sagte sie: »Sie ist doch die Mutter von meiner besten Freundin, wissen Sie. Sie hat's bestimmt nicht bös gemeint. Das ist so ähnlich, wie wenn jemand Marmelade einkocht und irgendwas Falsches reintut und dann ein Haufen Leute krank werden. Zum Beispiel wenn Sie die Marmelade bei einem Flohmarkt vor der Kirche kaufen oder so. Erdbeer oder Brombeer. Ich mein, so was wär doch möglich, nicht? Und dann nehmen Sie sie mit nach Hause, und am nächsten Morgen streichen Sie sie auf Ihren Toast, und dann wird Ihnen schlecht oder so. Aber dann weiß jeder, daß es ein Unglücksfall war. Verstehen Sie?«
»Natürlich, so etwas kann passieren.«
»Und so was ist hier auch passiert. Nur war's nicht bei einem Flohmarkt. Und es war auch keine Marmelade.«
Keiner von ihnen sagte etwas. St. James drehte nachdenklich sein Weinglas, Lynley saß still und tat gar nichts, und Deborah blickte von den Männern zu dem jungen Mädchen und wartete darauf, daß einer von ihnen etwas sagen würde. Als das nicht geschah, fuhr Josie fort.
»Ich mein, Maggie ist doch meine beste Freundin. Und ich hab vorher noch nie eine beste Freundin gehabt. Ihre Mutter -Mrs. Spence -, die ist ziemlich eigenbrötlerisch. Die Leute finden das komisch und möchten gern so tun, als ob was dahintersteckt. Aber es steckt
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