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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Einen Stein allein kann man nicht deuten.«
    »Lüg mich nicht an.«
    »Ich lüge überhaupt nicht.«
    »Es bedeutet nein, stimmt's? Aber wir hätten die Frage gar nicht zu stellen brauchen. Wir haben die Antwort sowieso gewußt.«
    Er ließ ihre Hand los.
    Einen nach dem anderen hob sie die Steine auf und legte sie wieder in den Beutel, bis nur noch der schwarze dalag.
    »Was hat er zu bedeuten?« fragte er noch einmal.
    »Kummer. Trennung. Verlust.«
    »Ja. Ja, natürlich.«
    Er hob den Kopf und blickte zum Dach hinauf, als könnte das den Druck hinter seinen Augen lindern. Er versuchte, sich auf die Frage zu konzentrieren, wie viele Schieferschindeln man brauchen würde, um das Sonnenlicht auszusperren, das in den Stall hereinströmte. Eine? Zwanzig? Konnte man die Ritzen überhaupt schließen? Würde nicht das ganze Dach einstürzen, wenn man hinaufkletterte, um den Schaden auszubessern?
    »Es tut mir leid«, sagte Polly. »Es war dumm von mir. Ich bin eben dumm. Ich denke immer erst hinterher.«
    »Es ist nicht deine Schuld. Sie stirbt. Das wissen wir doch beide.«
    »Aber ich wollte doch so gern, daß das heute ein besonderer Tag für dich wird. Ein paar Stunden weg von allem. Und dann hab ich die Steine rausgeholt. Ich habe überhaupt nicht daran gedacht, was du fragen würdest... Aber was sonst hättest du denn überhaupt fragen sollen. Ach, ich bin ja so dumm. Wirklich dumm.«
    »Hör auf.«
    »Ich hab alles nur noch schlimmer gemacht.«
    »Man kann es nicht schlimmer machen.«
    »Doch. Ich hab es schlimmer gemacht.«
    »Nein.«
    »Ach, Col...«
    Er senkte den Kopf. Es überraschte ihn, den eigenen Schmerz in ihrem Gesicht gespiegelt zu sehen. Seine Augen waren die ihren, seine Tränen waren die ihren, die Linien und Schatten, die seinen Schmerz verrieten, waren in ihre Haut eingekerbt, verdunkelten ihre Schläfen und ihre Wangen.
    Er dachte, nein, das kann ich nicht tun, und streckte doch die Arme aus, um ihr Gesicht mit seinen Händen zu umschließen. Er dachte, nein, das werde ich nicht tun, und begann doch schon, sie zu küssen. Er dachte, Annie, Annie, als er sie mit sich zu Boden zog, sie auf sich fühlte, mit seinem Mund ihre Brüste suchte, die sie ihm darbot, während gleichzeitig seine Hände unter ihren Rock glitten, er ihr den Slip abstreifte, seine eigene Hose herunterzog, sie in heißem Verlangen, hitzigem Begehren auf sich herabdrückte, die Wärme, so weich, und jene erste gemeinsame Stunde, wie wunderbar sie war, überhaupt nicht scheu, wie er gedacht hatte, sondern offen für ihn, voller Liebe, ein wenig erschrocken zuerst über die Fremdheit, das Ungewohnte, ehe sie sich auf den Rhythmus seines Körpers einließ und ihm entgegenkam, seinen nackten Rücken liebkoste und sein Gesäß mit ihren Händen umschloß, um ihn mit jedem Stoß tiefer in sich aufzunehmen, und die ganze Zeit, ihr Blick so tief in dem seinen, leuchtend vor Glück und Liebe, während er aus den Wonnen ihres Körpers Energie schöpfte, aus der Hitze, aus der Feuchtigkeit, aus dem süßen Gefängnis, das ihn gefangenhielt und ebenso begehrte, wie er begehrte und begehrte, bis er auf der Höhe der Lust »Annie! Annie!« rief und über dem Körper von Annies Freundin zusammensank.
    Colin trank einen vierten Whisky, um zu vergessen. Er wollte ihr die Schuld geben, obwohl er wußte, daß er die Verantwortung trug. Schlampe, hatte er gedacht, sie hat nicht einmal den Anstand, Annie gegenüber loyal zu sein. Sie war bereit und willens gewesen, sie hatte nicht versucht, ihm Einhalt zu gebieten, sie hatte sogar eigenhändig ihre Bluse und ihren BH ausgezogen, und sie hatte ihn ohne ein Wort des Protests eingelassen.
    Doch er hatte ihr Gesicht gesehen, als er nur Augenblicke nachdem er Annies Namen gerufen hatte, die Augen öffnete. Er hatte gesehen, wie tief er sie getroffen hatte. Und egoistisch hatte er sich gesagt, wer einen verheirateten Mann verführt, verdient nichts Besseres. Sie hatte die Steine absichtlich mitgebracht. Sie hatte alles geplant. Wie immer sie auch bei ihrem Wurf gefallen wären, sie hätte sie so interpretiert, daß das Ende vom Lied gewesen wäre, daß er mit ihr bumste. Sie war eine Hexe. Jeden Tag, jeden Augenblick wußte sie, was sie tat. Bei ihr war alles genau geplant.
    Colin wußte, daß ein Es tut mir leid die Sünden nicht geringer machte, die er an jenem Frühlingsnachmittag im Back End Barn und jeden folgenden Tag seither an Polly Yarkin begangen hatte. Sie hatte ihm in Freundschaft die Hand

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