Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
vorgeschlagen, einen Blick hineinzuwerfen.
    Den dritten Whisky trank er, um alles wieder lebendig zu machen. Den Einstich eines Splitters, der sich ihm in die Schulter gebohrt hatte, als er die verwitterte Tür aufgestoßen hatte. Den durchdringenden Schafsgeruch und die federleichten Wollbüschel, die am Mörtel hingen. Die zwei Lichtstreifen, die durch Ritzen in dem alten Schieferdach hereinfielen und einen Keil bildeten, an dessen Spitze Polly stehengeblieben war und lachend gesagt hatte: »Wie im Scheinwerferlicht, nicht wahr, Colin?«
    Als er die Tür schloß, schien der Rest des Stalls in Dunkelheit zu versinken. Und mit dem Stall versank auch die Welt. Das einzige, was blieb, waren diese beiden goldgelben Lichtstrahlen und Polly, die an ihrem Schnittpunkt stand.
    Sie blickte von ihm zu der Tür, die er geschlossen hatte. Dann strich sie mit beiden Händen an ihrem Rock hinunter und sagte: »Wie ein geheimes Versteck, nicht wahr? Ich meine, wenn die Tür zu ist und so. Kommt ihr immer hierher, du und Annie? Ich meine, seid ihr früher hierhergekommen? Bevor - du weißt schon.«
    Er schüttelte den Kopf. Sie mußte aus seinem Schweigen geschlossen haben, daß er in Gedanken bei der Kranken in Winslough war. Impulsiv sagte sie: »Ich hab die Steine mitgebracht. Komm, ich werfe sie für dich.«
    Ehe er etwas antworten konnte, ging sie in die Knie und zog aus ihrer Rocktasche einen kleinen schwarzen Samtbeutel, der mit roten und silbernen Sternen bestickt war. Sie öffnete ihn und schüttete die acht Runensteine in ihre Hand.
    »Daran glaube ich nicht«, sagte er.
    »Weil du es nicht verstehst.«
    Sie hockte sich auf ihre Fersen und klopfte neben sich auf den Steinboden, uneben und holprig. Und er starrte vor Dreck. Colin kniete neben ihr nieder. »Was möchtest du wissen?«
    Er antwortete nicht. Ihr Haar leuchtete im Licht. Ihre Wangen waren gerötet.
    »Nun komm schon, Colin«, sagte sie. »Irgend etwas mußt du doch wissen wollen.«
    »Nein, nichts.«
    »Aber irgendwas doch.«
    »Nein.«
    »Gut, dann werf ich die Steine eben für mich selbst.«
    Sie schüttelte sie wie Würfel in ihrer Hand, neigte den Kopf zur Seite und schloß die Augen. »So, jetzt. Was soll ich fragen?«
    Die Steine klirrten und schepperten. Schließlich sagte sie hastig: »Wenn ich in Winslough bleibe, finde ich dann den Mann meiner Träume?«
    Und zu Colin sagte sie mit einem schelmischen Lächeln: »Falls der nämlich hier sein sollte, scheint er ziemlich schüchtern zu sein. Er hat sich mir noch nicht vorgestellt.«
    Mit einem Schlenkern ihres Handgelenks warf sie die Steine. Sie sprangen klappernd über den Boden. Drei Steine zeigten ihre bemalte Seite. Polly beugte sich vor, um sie sich anzusehen, und drückte erfreut die Hände auf ihre Brust. »Siehst du«, sagte sie, »lauter gute Omen. Da der Ringstein, der ist am weitesten weg. Der steht für Liebe und Heirat. Und der Glücksstein liegt daneben. Schau, sieht doch aus wie eine Ähre, nicht wahr. Das bedeutet Reichtum und Wohlstand. Und die drei fliegenden Vögel liegen mir am nächsten. Das bedeutet eine plötzliche Veränderung.«
    »Also wirst du ganz plötzlich jemanden mit Geld heiraten, wie? Mir scheint, du steuerst schnurstracks auf Townley-Young zu.«
    Sie lachte. »Na, der würde vielleicht einen schönen Schrecken kriegen.» Sie sammelte die Steine wieder ein. »Jetzt bist du dran.«
    Es hatte nichts zu bedeuten. Er glaubte nicht daran. Aber er stellte die Frage dennoch, die einzige Frage, die er hatte. Es war dieselbe Frage, die er jeden Morgen beim Aufstehen stellte, jeden Abend, wenn er sich endlich in sein Bett legte. »Wird Annie die neue Chemotherapie, helfen?«
    Polly krauste die Stirn. »Willst du das wirklich fragen?«
    »Los, wirf die Steine.« »Nein. Wenn es deine Frage ist, dann mußt du sie selbst werfen.«
    Er tat es, warf sie von sich, wie sie es zuvor getan hatte, aber als er hinschaute, sah er, daß nur ein Stein seine bemalte Seite zeigte, ein großes schwarzes H. Wie der Ringstein bei Polly, lag dieser Stein am weitesten von ihm entfernt.
    Sie blickte auf die Steine hinunter. Er sah, wie sie mit der linken Hand ihren Rock raffte. Dann beugte sie sich vor, als wollte sie die Steine zu einem einzigen Häufchen zusammenfegen. »Einen einzigen Stein kann man leider nicht lesen. Du mußt es noch einmal versuchen.«
    Er packte sie am Handgelenk, um ihr Einhalt zu gebieten. »Das ist doch nicht die Wahrheit, oder? Was hat der Stein zu bedeuten?«
    »Nichts.

Weitere Kostenlose Bücher