06 - Der Schattenkrieg
aus. Ding spürte, daß er das Zipperlein bekam; weniger Angst als Unsicherheit. Alle zwei, drei Minuten redete er sich ein, er wüßte ja genau, was er täte, was jedesmal wirkte aber nur ein paar Minuten lang; dann schlichen sich die Zweifel wieder ein.
Er sah eine Bewegung und erstarrte. Er hielt die linke Hand mit vertikaler Handfläche auf den Rücken, um die beiden anderen zu warnen. Er hielt den Kopf hoch und vertraute auf seine Ausbildung. Nachts nimmt das menschliche Auge nur Bewegung wahr; das war seine Erfahrung, und so hatte es auch in den Lehrbüchern gestanden. Es sei denn, der Gegner trug Nachtsichtgeräte… Dieser aber nicht. Der menschliche Schemen lief langsam und locker zwischen Chavez’ Position und seinem Ziel vorbei, und das war sein Todesurteil. Ding bedeutete Ingeles und Vega, sie sollten abwarten, und schlug sich nach rechts, um hinter den Feind zu gelangen. Eigenartigerweise bewegte er sich nun rasch. Mit Hilfe des Nachtsichtgeräts machte er freie Stellen am Boden aus, trat so leicht wie möglich auf und kam mit fast normaler Schrittgeschwindigkeit voran. In fünfzehn Minuten mußte er seine vorbestimmte Position eingenommen haben. Er bewegte sich geräuschlos, ging in die Hocke, schaute erst seinen Pfad entlang, dann auf sein Opfer. Binnen einer Minute hatte er eine günstige Stelle, einen Trampelpfad, erreicht. Ein Wachposten, der sich an einen Pfad hält, dachte Ding. Idiot.
Der Mann hatte nun kehrtgemacht und kam mit langsamen Schritten zurück. Sein Gesicht war zum Hang gewandt, aber seine Waffe trug er über der Schulter. Chavez ließ ihn herankommen und setzte das Infrarotgerät ab, als der Mann einmal wegschaute. Auf den plötzlichen Verlust des Displays hin verlor er sein Ziel für ein paar Sekunden aus den Augen, und erste Ansätze von Panik schlichen sich ein, doch Ding riß sich zusammen. Der Mann würde schon wieder auftauchen, wenn er sich zurück nach Süden wandte.
Und da kam er, eine dunkle Masse, die sich den tunnelähnlichen Trampelpfad entlang bewegte. Ding hockte sich an einen Stamm und zielte auf den Kopf des Gegners. Seine Waffe war auf Einzelfeuer eingestellt. Der Mann war noch zehn Meter entfernt. Chavez hielt den Atem an und drückte ab. Das metallische Klicken des Verschlusses der Heckler & Koch kam ihm unglaublich laut vor, aber das Ziel ging sofort zu Boden. Chavez sprang auf den Mann zu und richtete die MP auf ihn, aber er rührte sich nicht mehr. Nachdem Chavez das Nachtsichtgerät wieder aufgesetzt hatte, konnte er den Einschuß in der Nasenwurzel erkennen. Die Kugel war schräg nach oben durch den Hirnstamm gefahren und hatte den Mann sofort und geräuschlos getötet.
Chavez blieb neben der Leiche stehen und gab mit erhobener Waffe das Zeichen: Alles klar. Gleich darauf erschienen die Umrisse von Vega und Ingeles, die den Hang herunterkamen, auf dem grünen Display. Chavez wandte sich ab, suchte sich einen Platz, von dem aus er das Ziel beobachten konnte, und wartete auf sie.
Und da lag es, siebzig Meter entfernt vor ihm. Die Benzinlampen wirkten in seinem Nachtsichtgerät so grell, daß er es nun endgültig absetzen konnte. Inzwischen hörte er weitere Stimmen und konnte sogar vereinzelte Worte verstehen; eine gelangweilte Unterhaltung bei der Arbeit. Etwas plätscherte. Die Position, von der aus sie Feuerschutz geben sollten, kam in Sicht. Es gab nur ein Problem: Sie war zur falschen Seite hin offen. Die Bäume, die ihnen hätten Deckung geben sollen, versperrten ihnen das Schußfeld auf den Feind. Fehlplanung. Chavez zog eine Grimasse und suchte sich einen anderen Platz. Dann schaute er auf die Uhr. Es war fast soweit. Zeit für die letzte und entscheidende Inspektion des Zieles.
Er zählte zwölf Männer. In der Mitte stand etwas, das wie eine Badewanne aussah. Darin zwei trampelnde Männer, die eine Masse aus Cocablättern - und Schwefelsäure? durchkneteten. Oder mit Wasser verdünnte Schwefelsäure? Verflucht noch mal, dachte er, die laufen in der Säure rum! Die Männer, die diese widerliche Aufgabe hatten, wechselten sich ab. Einer stieg aus der Wanne und goß sich Wasser über Füße und Waden. Muß teuflisch brennen, schloß Ding. Doch aus dreißig Meter Entfernung klang ihre Unterhaltung gutgelaunt. Einer prahlte, was er alles mit seiner Freundin anstellte.
Sechs Männer, alle mit AK-47 bewaffnet. Sie standen am Rand der Anlage, schauten aber nach drinnen, nicht nach draußen. Einer rauchte. Neben einer Lampe lag ein Rucksack. Ein Träger
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