06 - Der Schattenkrieg
Nachdenken. Die Reflektionen auf der Fahrt hatten nun hier, in seinem Büro, keine Bedeutung mehr. Jetzt mußte er etwas tun. Er würde sich zwar von Prinzipien leiten lassen, aber seine Handlungen mußten von taktischen Überlegungen bestimmt sein. Dabei hatte er nicht die geringste Ahnung, was sich eigentlich tat.
Seine Abteilungsleiter trafen pünktlich ein und begannen ihre Vorträge. Der kommissarische DDI kam ihnen an diesem Morgen merkwürdig still und verschlossen vor. Normalerweise stellte er Fragen und ließ ein paar witzige Bemerkungen fallen. Diesmal nickte und grunzte er aber nur, ohne etwas zu sagen. Na, vielleicht hat er ein anstrengendes Wochenende hinter sich, dachten sie.
Andere gingen an diesem Montagmorgen aufs Gericht, suchten Anwälte auf oder mußten sich einer Jury stellen. Und da der Angeklagte in einem Strafprozeß das Recht hat, sich den Geschworenen in bester Verfassung zu präsentieren, war am Montagmorgen für die Häftlinge der Strafanstalt eine Dusche angesetzt.
Wie bei allen Aspekten des Gefängnislebens war Sicherheit der wichtigste Faktor. Die Zellentüren wurden aufgeschlossen, und die Häftlinge, die nur Handtücher und Sandalen trugen, marschierten unter den wachsamen Blicken dreier erfahrener Wärter zum Ende des Ganges. Es gab die üblichen morgendlichen Flachsereien, man murrte, riß Witze und fluchte auch einmal.
Unter sich, beim Essen und beim Sport neigten die Häftlinge dazu, sich nach Rassen aufzuspalten, doch in den Zellenblöcken war die Rassentrennung untersagt. Die Wärter wußten zwar, daß diese Regelung nur Zusammenstöße garantierte, doch die Richter, die sie erlassen hatten, hatten sich von Prinzipien leiten lassen, nicht der Realität. Und außerdem: Wenn jemand umgebracht wurde, war das nicht die Schuld der Wärter. Gefängniswärter sind oft die zynischsten Mitglieder der Vollzugskräfte: Gemieden von Polizisten, verhaßt bei den Gefängnisinsassen und in der Gesellschaft nicht besonders hoch angesehen. Diese Leute liebten ihre Arbeit nicht und dachten vorwiegend ans Überleben. Die Bedrohung im Dienst war sehr real. Der Tod eines Häftlings war natürlich keine Kleinigkeit es wurden von den Wärtern und der Polizei, oft sogar auch von Bundesbehörden ernsthafte Ermittlungen geführt, doch für die Wärter war das eigene Leben wichtiger als das eines Sträflings. Dennoch taten sie ihr Bestes. Sie waren überwiegend erfahrene Männer, die wußten, worauf sie zu achten hatten. Das gleiche traf selbstverständlich auch auf die Gefangenen zu, und was sich unter diesen abspielte, unterschied sich im Prinzip nicht von Vorgängen auf dem Schlachtfeld oder den Schattenkriegen zwischen Geheimdiensten. Taktiken entwickelten sich aus Maßnahmen und Gegenmaßnahmen und veränderten sich im Laufe der Zeit. Manche Häftlinge waren schlauer als andere. Und manche waren wahre Genies. Andere, besonders die jüngeren, waren verängstigte Duckmäuser, denen es wie den Wärtern nur ums Überleben ging. Jede Häftlingskategorie erforderte einen anderen Grad von Aufmerksamkeit, und die Wärter waren überlastet. Daß Fehler gemacht wurden, war also unvermeidlich.
Die Handtücher hingen an numerierten Haken. Jeder Gefangene hatte sein eigenes Stück Seife, und ein Wärter sah zu, wie sie nackt in den Duschraum mit den zwanzig Brausen marschierten. Dabei achtete er darauf, daß niemand eine Waffe mitnahm. Da er jedoch noch jung war, hatte er noch nicht gelernt, daß ein wirklich entschlossener Mann immer ein Versteck findet.
Henry und Harvey Patterson stellten sich den Piraten direkt gegenüber, die dummerweise eine Stelle gewählt hatten, die der Wärter nicht einsehen konnte. Die Brüder tauschten einen frohen Blick. Die Kerle mochten Großkotze sein, im Kopf aber hatten sie nicht viel. Die Pattersons empfanden im Augenblick einiges Unbehagen, denn sie hatten sich die Griffe ihrer Waffe in den After geschoben, und es hatte allerhand Überwindung gekostet, einigermaßen normal zur Dusche zu laufen. Rundum begann das heiße Wasser zu laufen, und der Duschraum füllte sich mit Dampf. Die Pattersons applizierten Seife an den entsprechenden Stellen und zogen ihre Waffen, die teilweise sichtbar geblieben waren, heraus. Dem jungen Wärter aber waren sie nicht aufgefallen. Das Ganze begann mit einem recht einfallslosen Stegreifdialog.
»Gib mir die Seife zurück, du Wichser!«
»Arschficker«, gab der andere lässig zurück. Ein Schlag wurde ausgeteilt und zurückgegeben. »Aufhören
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