06 - Der Schattenkrieg
Augenblick drei Mannschaften praktisch punktegleich an der Spitze. Das war ein Fall für Wettbüros. Schade, daß keine Quoten für den Erfolg der Perestrojka oder zur Nationalitätenfrage in der Sowjetunion ausgegeben werden, dachte Ryan. So etwas hätte ihm einen Anhalt bieten können.
Als sie den Autobahnring Beltway erreicht hatten, las er Berichte über Mittel- und Südamerika durch. Ein Drogenboß namens Fuentes war mit einer Bombe in die Luft gesprengt worden. Na, ist das denn so schlimm? war Jacks erster Gedanke. Nein, ganz und gar nicht. Schlimm war nur, daß er von einer amerikanischen Fliegerbombe getötet worden war. Und wegen solcher Dinge haßt uns Beth Elliot, sagte sich Jack, und schwingt sich dabei zum Richter, zur Jury und zum Henker zugleich auf. Mit Recht und Unrecht hatte das nichts zu tun. Ihr ging es um politische Vorteile und vielleicht auch um die Ästhetik. Politiker erklärten, »Sachfragen« seien wichtiger als Prinzipien, redeten aber daher, als seien diese Begriffe austauschbar.
Typischer Montagmorgen-Zynismus, dachte Jack. Wie zum Teufel ist Robby Jackson auf diese Sache gestoßen? Wer führt diese Operation? Und was passiert, wenn die Sache herauskommt? Besser noch: Soll mich das überhaupt etwas angehen? war Jacks nächste Frage.
Hier geht es um Politik, Jack. Hat dein Job überhaupt etwas mit Politik zu tun? Darfst du dich um Politik kümmern?
Wie so viele Dinge hätte dieses Thema einen vorzüglichen Stoff für ein philosophisches Streitgespräch abgegeben, aber im vorliegenden Fall ging es nicht um eine abstrakte Untersuchung von Prinzipien und Hypothesen. Von ihm wurden Antworten verlangt. Was, wenn ein Mitglied des Überwachungsausschusses ihm eine Frage stellte, die er beantworten mußte? Das konnte jeden Augenblick passieren.
Und wenn er log, konnte er ins Gefängnis kommen. Das war die Kehrseite der Beförderung. Mehr noch: Wenn er ganz ehrlich war und aussagte, er wisse von nichts, konnte es vorkommen, daß weder die Mitglieder des Ausschusses noch eine Jury ihm glaubten. Es stellte also selbst die Ehrlichkeit keinen wirklichen Schutz dar. War das nicht ein Hohn?
Jack schaute aus dem Fenster, als sie an dem Mormonentempel in der Nähe der Connecticut Avenue vorbeifuhren, einem etwas eigenartigen Gebäude, das mit seinen Marmorsäulen und Goldtürmen aber doch eine gewisse Würde ausstrahlte. Die Glaubensgrundsätze, die dieses Ädifizium repräsentierte, fand der Katholik Ryan zwar seltsam, aber ihre Anhänger waren ehrliche, fleißige Patrioten, denn sie glaubten an das, wofür Amerika stand. Und das war entscheidend, oder? Entweder ist man für etwas, oder man läßt es. Gegen etwas kann jeder Esel sein - wie ein störrisches Kind, das sich beharrlich weigert, eine Gemüsesorte zu essen, die es nicht kennt. Die Mormonen führten ein Zehntel ihres Einkommens an die Gemeinde ab, was der Kirche den Bau dieses Denkmals für ihren Glauben ermöglicht hatte. Aus ähnlichen Motiven hatten die notleidenden Bauern im Mittelalter die Kathedralen finanziert. Die Bauern waren längst vergessen nur nicht von dem Gott, an den sie geglaubt hatten, aber die Kathedralen standen als Symbol ihres Glaubens noch heute und erfüllten ihren ursprünglichen Zweck. Wer erinnerte sich noch an die politischen Fragen dieser Epoche? Die Burgen waren zerfallen, die adligen Familien größtenteils ausgestorben. Übriggeblieben waren nur Denkmäler des Glaubens, etwas, das wichtiger war als die leibliche Existenz des Menschen, geformt in Stein. Wie war deutlicher zu beweisen, was im Grunde wichtiger war? Jack wußte natürlich, daß er nicht der erste war, der sich mit dieser Frage beschäftigte, aber es kam nicht oft vor, daß jemand die Wahrheit so klar erkannte wie Ryan an diesem Montag. Die Erkenntnis ließ die Zweckdienlichkeit seicht, kurzlebig und letzten Endes nutzlos erscheinen. Er mußte sich zwar noch immer für einen Kurs entscheiden und wußte, daß seine Handlungen möglicherweise von anderen diktiert werden würden, doch er kannte nun die Richtlinien, an die er sich halten wollte. Und das reichte für den Augenblick.
Fünfzehn Minuten später fuhr der Wagen durch das Tor, an der Front des Gebäudes vorbei und in die Tiefgarage. Ryan steckte das Material zurück in den Koffer und nahm den Aufzug in den sechsten Stock. Nancy hatte die Kaffeemaschine schon angestellt, als er eintrat. In fünf Minuten sollten seine Leute zum Vortrag erscheinen. Jack blieben noch ein paar Augenblicke zum
Weitere Kostenlose Bücher