06 - Geheimagent Lennet unter Verdacht
sprechen", erklärte Therese.
»Das bin ich", erwiderte der Mann.
»Ach, Verzeihung, aber das ist doch unmöglich", entgegnete Therese. »Ich kenne Kommissar Pouffiaud sehr gut, und Sie haben nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihm.«
»Da hat er eben Pech", brummte der Mann und befaßte sich wieder mit seinen Akten.
»Ich bin mir über die Notwendigkeit der Geheimhaltung völlig im klaren", fuhr das junge Mädchen fort, ohne auch nur ein bißchen von seiner Selbstsicherheit zu verlieren.
»Kommissar Pouffiaud hatte mir auch eingeschärft, nur in äußerster Not hierherzukommen. Aber hätte ich das nicht getan, so wäre dieser Herr", sie deutete auf Lennet, »durchaus dazu imstande gewesen, mich zu entführen. Wer weiß, wohin. Sie verstehen vielleicht, wovon ich rede, wenn ich Ihnen sage, daß ich die Kaiserin Josephine bin.«
Der Mann richtete seine durchdringenden Augen auf sie und streifte dann Lennet mit einem Blick.
»Und der da", fragte er herausfordernd, »der ist wohl Napoleon?«
»Ihre Scherze sind völlig fehl am Platz", entgegnete die Sekretärin des Generals. »Ich verlange, sofort von Kommissar Pouffiaud von der D.T.S. empfangen zu werden.«
Der Mann streckte seine Hand nach einem Karteikasten aus, der auf seinem Schreibtisch stand, und durchblätterte rasch die Kartei.
»Madame", erklärte er schließlich, »es gibt bei der D.T.S. gar keinen Kommissar Pouffiaud. Der einzige Kommissar Pouffiaud auf dieser Welt bin ich. Ich gehöre der Abteilung für Allgemeine Ermittlungen an. Und jetzt möchte ich Ihnen einen Rat geben: Nehmen Sie die U-Bahn, in Richtung Charenton, und steigen Sie am Krankenhaus St. Anna aus, Sie wissen schon, die Nervenklinik. Noch ein Wort, und ich lasse Sie die Nacht, hier auf der Wache verbringen zusammen mit Napoleon. Raus jetzt!«
Einen Augenblick später standen die beiden jungen Leute auf dem Gang. Lennet begriff nichts von dem, was sich ereignet hatte, und Therese schien kaum besser dran zu sein.
»Gehen wir schnell hinunter", schlug Lennet vor, dem nichts daran lag, den Abend in einer Nervenheilanstalt zu verbringen.
Sie traten aus dem Präsidium auf die Straße hinaus.
Ein Polizeibeamter stand neben Lennets Wagen und war damit beschäftigt, ein Strafmandat auszuschreiben.
»Gehört Ihnen dieser fahrbare Untersatz?« fragte er, als er Lennet erblickte.
»Ich bin sein rechtmäßiger Besitzer", antwortete Lennet im gleichen Tonfall.
»Mit welchem Recht parken Sie Ihren Wagen entgegen den geltenden Verkehrsbestimmungen?«
Der Agent des F.N.D. hielt ihm seinen Ausweis vor die Augen.
Der Beamte steckte seinen Kugelschreiber wieder weg. »Mit Rücksicht auf Ihre Stellung bin ich bereit, das Auge des Gesetzes etwas zuzudrücken.«
Diese Nachsicht war Therese nicht entgangen. Kaum saßen sie im Wagen, wandte sie sich Lennet zu, als sei er ein rettender Strohhalm.
»Dann stimmt es also doch", fragte sie in fast flehendem Ton,
»daß wenigstens Sie der D.T.S. angehören?«
»Ich bin im Staatsdienst", antwortete Lennet. »Über Sie weiß ich einiges. Und ich würde mich freuen, wenn ich ihnen helfen könnte, und wäre es nur aus Freundschaft zu Jojo. Aber Sie müßten bereit sein, mir die ganze Wahrheit zu sagen. Wenn Sie es darauf anlegen sollten, sich reinzuwaschen, indem Sie sich als geistesgestört ausgeben, dann möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß das ein gefährliches Spiel ist.«
Thereses Gesicht verriet grenzenlose Müdigkeit, die sie auch nicht zu verbergen suchte.
»Es ist vielleicht falsch", murmelte sie, »aber ich will Ihnen alles erzählen. Es stimmt: Ich bin die Kaiserin Josephine.«
Kommissar Pouffiaud
Vor sechs Monaten hatte alles angefangen. Damals war Therese Proutier, die Sekretärin des Generals de la Tour du Becq, ein glückliches junges Mädchen gewesen. Sie war mit Joseph Husson verlobt und wartete darauf, bis sie genügend Geld zusammengespart hatte, um ihn heiraten zu können. Denn Husson selber schlug sich mit einem kleinen Gehalt als Buchhalter nur mühsam durchs Leben.
Eines Tages, als sie im Büro war, klingelte das Telefon.
»Hier die Sekretärin des Verbindungsstabs für Wehrwissenschaft", sagte sie.
»Guten Tag, mein Fräulein", ließ sich eine Männerstimme vernehmen. »Habe ich die Ehre, mit Mademoiselle Therese Proutier zu sprechen?«
»Ja, Monsieur.«
»Hier spricht Kommissar Pouffiaud von der D.T.S. Ich muß Sie bitten, Mademoiselle, dieses Gespräch als streng vertraulich zu behandeln und niemandem etwas
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