06 - Prophet der Apokalypse
entwickelt, die sich aus seinem Verhalten ergaben.
»Genau das wüsste ich auch gern.« Er kehrte der Tür den Rücken. »Es ist bestimmt nicht üblich, dass Hubschrauber ein Containerschiff anfliegen. Entweder gab es einen größeren Unfall an Bord und da kommt gleich ein Ärzteteam, oder …«
»… wir stecken in noch größeren Schwierigkeiten«, führte Maria Luisa den Satz zu Ende.
Tom nickte, während er einen der Spinde ansteuerte, die in die Wand eingelassen waren. Seit ihrer Ankunft hatte er sie mehr als einmal durchstöbert. Dabei war er auf die eine oder andere Hinterlassenschaft gestoßen, meist Kleinigkeiten, eine halbvolle Zigarettenschachtel etwa, oder alte Zeitungen. Aber ganz oben in einem Spind hatte er auch eine Zange gesehen, an die er sich jetzt erinnerte.
»Was suchst du?«
»Das hier!« Er hielt die rot mit Kunststoff isolierte Kneifzange kurz hoch und eilte dann zur Tür. Maria Luisa trat zu ihm und beobachtete, wie er die Zange ansetzte. Es gab kein Schlüsselloch, in das man einen richtigen Schlüssel hätte einführen können, sondern ein leicht hervorstehendes Vierkanteisen wie an älteren öffentlichen Toilettentüren. Jorge besaß dafür ein Werkzeug mit passender Aufsatznuss. Tom improvisierte mit den Zangenbacken. Er schloss sie um das vorstehende Eisenstück, drückte die Zangengriffe zusammen und machte eine halbe Drehung.
Als er die Klinke wieder nach unten drückte, gab die Tür nach.
»Wo willst du hin?«, fragte Maria Luisa.
»Du bleibst hier«, sagte er statt einer Antwort. »Bei Alejandro. Ich bin gleich wieder zurück. Will nur einen kurzen Blick riskieren.«
Mit dem Öffnen der Metalltür war der Rotorenlärm noch lauter geworden. Viel zu laut , dachte Tom Ericson. Er trat nach draußen. Als er die Füße auf das Deck setzte, hatte er das Gefühl, starke Vibrationen durch das Schuhwerk hindurch zu spüren.
Vorsichtig überzeugte er sich zunächst davon, dass außer ihm niemand im vorderen Bugbereich war, dann spähte er um den Aufbau herum, wollte über die Containerfläche hinweg zum Deckshaus am Heck blicken.
Stattdessen sprangen ihm die beiden Objekte ins Auge, die normalerweise auf keinen mit ISO-Containern bestückten Frachter gehörten.
Die Rotorblätter der beiden Helikopter drehten sich noch langsam, aber die Kufen hatten bereits auf den mittleren Containersegmenten aufgesetzt. Es waren zivile Maschinen, weder medizinische, noch militärische.
Ich bezweifele, dass dieser Besuch angemeldet war , dachte Tom.
Das bezweifelte er umso mehr, als er die Gestalten sah, die sich von den offenen Seitenluken der Helis Richtung Deckshaus bewegten.
Nur ein Mann im Maßanzug blieb bei den Maschinen zurück. Von den anderen fünf Personen im feinen Zwirn rannten derweil vier über die geschlossene Containerfläche zum Heckbereich – und einer zum Bug, wo Tom rasch wieder den Kopf zurückzog, bevor er entdeckt wurde.
Er hatte einen der mit MPis Bewaffneten auf Anhieb erkannt, weil selbst auf die Entfernung das Tattoo auf seinem Hinterkopf zu sehen war. Derselbe Glatzkopf, der schon in Carlotas Haus den Ton angegeben hat: Pauahtun!
Von einem Moment zum anderen stand Tom unter Strom.
Er drehte sich um und eilte zu Maria Luisa und Alejandro zurück. Hinter ihm näherte sich der Indio mit der Schnellfeuerwaffe.
Und ich habe nichts. Gar nichts!
Die Frage, wie sie ihm auf die Spur gekommen waren, stellte sich für ihn erst gar nicht.
Cuarto! Dieser kleine Scheißkerl hat die Kreditkarte benutzt und uns dann verpfiffen!
Draußen krachten die ersten Schüsse.
***
»Piraten!«
Der Kapitän der Sanjiata hatte persönliche Erfahrungen mit Freibeutern in den Gewässern vor Somalia gesammelt. Seither führte jedes Schiff unter seinem Kommando Schusswaffen an Bord.
Nachdem er die erste Überraschung überwunden hatte, quasi in Sichtweite der Île de Ré, also auf französischem Hoheitsgebiet, Opfer eines Überfalls zu werden, ließ er einen Notruf absetzen und öffnete den Waffentresor.
Währenddessen sprangen bereits erste Gestalten aus den Helikoptern und hetzten auf das Deckshaus zu. Sie sahen ganz und gar nicht wie Piraten aus, eher wie Manager, doch die automatischen Waffen in ihren Händen ließen keinen Zweifel über ihre Absichten.
»Lasst sie nicht bis zu uns vordringen!«, befahl der Kapitän und seine Männer stürmten von der Brücke, um vor dem Geländer, das zu den Containerstapeln zeigte, Aufstellung zu beziehen.
Aber schon der erste Schuss in
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