Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
eine Menge geistiger Nahrungsstoffe, ohne welche sein Gemüt verdorren müßte!
    So patrouillierte ich hin und her bis weit nach Mitternacht; dann weckte ich den Häuptling. Er machte mir Vorwürfe:
    „Warum hat mich mein Bruder erst jetzt geweckt? Wir müssen in zwei Stunden aufbrechen! Howgh!“
    Ich legte mich nieder und war dank des glücklichen Umstandes, daß man doch schließlich kann, was man will, bald eingeschlafen. Als ich geweckt wurde, standen die Pferde bereit, obgleich der Morgen nur einen kaum bemerkbaren leisen Schimmer aus dem Osten herüberwarf. Wir stiegen auf und ritten nordwärts am Flusse hin, bis eine Furt kam, welche wir genau kannten. Dort ging es hinüber nach dem andern Ufer.
    Auf diesem Wege hatten wir uns zwar von der Richtung entfernt, welcher Corner mit seinen Begleitern jedenfalls einzuschlagen beabsichtigte, aber wir entgingen dadurch der Gefahr, daß unsere Spur von ihnen bemerkt wurde, und waren überzeugt, daß wir diesen Umweg mit Leichtigkeit quitt machen würden.
    Uns auch ferner immer nördlich haltend, bis wir uns ungefähr in gleicher Breite mit den allerdings sehr fernen Squaw-Mountains befanden, bogen wir nach Westen um und ließen nun unsere Pferde tüchtig ausgreifen, denn es galt, den Medicine-Bow noch vor den Finding-hole-Suchern zu erreichen. Es war um die Mittagszeit, als wir dort ankamen, und Winnetou lenkte, nachdem wir die Pferde im Creek getränkt und durch ein Bad erfrischt hatten, nach den steilen Höhen des Tutsil ein.
    Wir wollten nicht etwa ganz hinauf, sondern nur so weit, bis wir einen für unsere Zwecke genügenden Ausblick über die weite Ebene hatten; dann stiegen wir ab und gaben die Pferde frei, daß sie nach Belieben weiden konnten. Während ich mich mit Rost unter einen Baum setzte, entfernte sich Winnetou. Er nahm das Gewehr mit, und so wußte ich, daß er Fleisch holen wollte. Es dauerte auch gar nicht lange, so hörten wir zwei Schüsse, und als er dann kam, brachte er zwei so große Berghühner, daß wir für einen vollen Tag zu essen hatten. Sie wurden abgezogen und an einem schwachen Feuer gebraten, bei welcher Arbeit wir aber nicht versäumten, fleißig nach den erwarteten fünf Reitern auszublicken.
    Grad als wir gegessen hatten, sahen wir sie kommen. Sie befanden sich noch weit draußen am Horizonte, doch erkannten wir schon nach kurzer Zeit die Richtung, welche sie nahmen, und konnten nun nach der Beschaffenheit des hiesigen Terrains ganz genau den Punkt bestimmen, an dem wir ihnen am besten entgegenzutreten vermochten. Dorthin ritten wir, nachdem wir unsere Pferde erst wieder den Berg hinabgeführt hatten.
    Sie kamen den Bow-Creek entlang. Wir hatten eine Stelle gewählt, wo sie einen langen, schmalen Rasenstreifen überschreiten mußten, der links vom Flusse und rechts von dicht stehenden Erlenbäumen eingefaßt wurde. Winnetou sollte ihnen wie zufällig begegnen; er blieb also zurück; ich aber ritt mit Rost, um auf dem Grase keine Spur zu machen, von hinten in das Erlendickicht hinein und drang darin bis zum vorderen Rande vor. Von hier aus mußten wir das Zusammentreffen Winnetous grad vor Augen haben. Während wir hier warteten, unterrichtete ich Rost, wie er sich zu verhalten habe. Er war voll Begierde, dem Prayer-man eine Rede zu halten, von der ich erwartete, daß sie weniger fromm ausfallen werde, als die Ausdrucksweise des salbungsvollen Schriftenhändlers in Weston gewesen war.
    Hierbei muß ich erwähnen, daß Sheppard gestern abend, als wir ihn und Corner belauschten, sich nicht etwa dieser gewählten Redeweise bedient hatte; seine Ausdrücke waren im Gegenteile genau so ordinär wie die Corners, so daß es mir unmöglich gewesen ist, sie wiederzugeben. Wer sie hörte, mußte schon gleich nach den ersten Sätzen zu der Überzeugung kommen, daß diese beiden Menschen auf der niedrigsten Stufe moralischen Wertes oder vielmehr Unwertes standen.
    Wir brauchten nicht allzulange zu warten, so verrieten uns ihre lauten Stimmen, daß sie kamen. Sie hatten um eine Krümmung des Creek zu biegen, bis wir sie sahen. Der Prayer-man ritt mit Corner voran; ihnen folgte Eggly mit dem alten Lachner, und hinter diesen kam Carpio allein.
    Wenn ich nicht gewußt hätte, wer es war, so glaubte ich nicht, daß ich ihn auf den ersten Blick erkannt hätte. Ja, es waren seine Gesichtszüge, aber viel, viel älter, älter nicht bloß im Vergleich mit seinem damaligen jugendlichen Gesichte, als ich ihn zum letztenmal gesehen hatte, sondern auch

Weitere Kostenlose Bücher