Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
älter, als er eigentlich jetzt nach seinen Jahren war. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen; die Wangen waren eingefallen, und seine Haltung war eine so müde, als ob er mehrere Tage lang nicht aus dem Sattel gekommen wäre. Übrigens werde ich mich wohl hüten, von der Art und Weise zu sprechen, wie er auf dem Pferde saß. Ich habe meinen guten Carpio noch heute viel zu lieb, als daß ich so rücksichtslos sein möchte, ihn in den Augen meiner lieben Leserinnen und Leser so schmählich herabzusetzen, zumal ja auch ohnedies bei jedem Schritte des Pferdes zu befürchten war, daß es ihn herabsetzen werde. Man hatte ihm den schlechtesten Gaul gegeben, bei dessen stoßendem Gange alle Knochen im Leibe schmerzten. Er sah so elend, so mitleiderweckend aus, daß ich am liebsten hinausgesprungen wäre, um ihn an das Herz zu drücken, die andern aber alle gleich mit den Fäusten niederzuschlagen! Diese andern waren gar nicht übel beritten; zumal Corner saß auf einem Fuchse, den zu reiten auch ich mich nicht geschämt hätte.
    Als sie beinahe in gleicher Linie mit uns waren, stutzten sie. Corner hielt sein Pferd an und rief:
    „Hallo, ein Indianer! Paßt auf! Ah, es scheint doch nur einer zu sein!“
    Die andern vier hielten auch an. Ich hatte auch jetzt nur Carpio im Auge und sah, wie der Ausdruck seines Gesichtes beim Anblick Winnetous Bewunderung verriet. Dieser kam langsam von rechts her geritten; er hielt sein Pferd an, überflog die Weißen mit einem beleidigend gleichgültigen Blicke und sagte:
    „Fünf Bleichgesichter! Uff! Sie mögen zur Seite weichen, daß ich vorüber kann!“
    „Ausweichen?“ lachte Corner. „For shame! Vor einem roten Halunken im ganzen Leben nicht. Mach dich von dannen, Rothaut, sonst bekommst du die Faust in das Gesicht!“
    „Pshaw!“ war die kurze, aber unendlich verächtlich klingende Antwort des Apatschen.
    „Hund, du antwortest mir mit einem Pshaw?“ schrie Corner. „Da hast du deinen Lohn!“
    Er gab seinem Pferde die Sporen, um es mit einigen raschen Sätzen an Winnetou vorüberzutreiben, und erhob die Faust zum Schlage dabei.
    „Tschah!“ rief Winnetou seinem Hengste zu.
    Dieser tat einen mächtigen Sprung zur Seite, prallte mit dem Fuchse zusammen, und im nächsten Augenblicke wälzte sich dieser mit seinem Reiter auf der Erde. Das Pferd sprang schnell wieder auf; Corner aber kam viel langsamer wieder auf die Beine. Er hatte sein Gewehr verloren und wollte nach dem Revolver greifen; da aber hatte Winnetou schon seine beiden in den Händen und drohte blitzenden Auges:
    „Da sind fünf Bleichgesichter und hier in meinen Händen zwölf Schüsse. Welches Bleichgesicht die Hand nach einer Waffe bewegt, bekommt sofort eine Kugel!“
    Die Weißen kannten die Gesetze und Gebräuche des wilden Westens: Wer die Schußwaffe am schnellsten in der Hand hält, hat gewonnen. Es fiel Winnetou nicht ein, das gewöhnliche ‚Hands up!‘ zu befehlen; er war seiner Sache gewiß, auch ohne die fünf Weißen zu zwingen, ihre Hände hochzuhalten. Seine gebieterische Haltung wirkte ebenso wie sein Revolver; Corner ließ die Hand vom Gürtel, sagte aber drohend:
    „Mensch, du hast mich umgeritten! Weißt du, was das heißt?“
    „Mann, du hast mich schlagen wollen! Weißt du, was das heißt?“ antwortete Winnetou.
    „Pshaw! Einen Indianer schlagen! Diese Kerle verdienen nichts als Hiebe!“
    „Auch Winnetou, der Häuptling der Apatschen?“
    Bei diesem Namen horchten alle fünf hoch auf.
    „Alle Teufel! Soll das vielleicht heißen, daß du Winnetou, der Apatsche, bist?“ fragte Corner.
    „Ich bin es!“
    „Wenn das die Wahrheit ist, so laß ich mich – – – Donnerwetter! Ja, er ist es! Das ist ja die berühmte Silberbüchse! Und dieses Pferd ist Iltschi, der schwarze Hengst! Ja, das ist etwas anderes; du kannst deinen Weg fortsetzen. Wir tun dir nichts!“
    „Uff! Ihr tut Winnetou, dem Häuptling der Apatschen, nichts?“ fragte er mit einer verächtlichen Handbewegung. „Zwölf Kugeln sind gegen euch gerichtet, und dieses Bleichgesicht ist so gnädig, zu versichern, daß mir nichts geschehen soll! Winnetou reitet, wann und wohin er will; jetzt aber bleibt er hier, denn er hat mit euch zu sprechen. Du hast die Hand gegen ihn erhoben und ihn einen Hund genannt! Was bist denn du? Was kann überhaupt ein Bleichgesicht sein, wenn es Corner heißt?“
    „Was? Du kennst meinen Namen?“
    „Pshaw! Winnetou kennt alle fünf! Wer Corner, Eggly und Sheppard heißt, der stiehlt

Weitere Kostenlose Bücher