06 - Weihnacht
Euch mit Mördern und Dieben verbündet habt?“
„Mördern und Dieben?“ fragte er. „Ihr irrt Euch, Sir! Diese Gentlemen sind die ehrlichsten Leute, die es in den Staaten geben kann!“
„Da seid Ihr es, der sich irrt. Ich kenne sie besser. Diese drei hartgesottenen Sünder, welche Ihr Gentlemen zu nennen beliebt, haben, von noch andern Verbrechen ganz abgesehen, einen gewissen Welley, welcher für zwanzigtausend Dollars Nuggets den Platte hinunter mit sich führte, erschossen und sich seines Goldes bemächtigt. Sie sind dann seinem Gefährten nach Weston gefolgt und haben ihm einen halben Zentner Gold gestohlen. Sie haben dort auch bei einem Händler und in Plattsburg bei einem Advokaten eingebrochen. Von der Polizei verfolgt, so daß sie sich im Staat Missouri nicht mehr sehen lassen können, führen sie nun Euch in die Berge, um Euch Euer Geld abzunehmen.“
Die drei Beschuldigten erhoben laut schreiend Widerspruch; ein ernster, drohender Wink von Winnetou aber brachte sie schnell zum Schweigen.
„Ich rate Euch, von ihnen abzulassen!“ fuhr ich fort. „Ihr dürft Euch doch nicht mit solchen Halunken abgeben!“
„Seid Ihr dabei gewesen, als sie den Mann im Plattefluß erschossen?“ fragte der Alte.
„Nein.“
„Habt Ihr sie bei den Einbrüchen in Weston und Plattsburg beobachtet?“
„Nein.“
„Seid Ihr zugegen gewesen, als ich mein Geschäft mit Ihnen abgeschlossen habe?“
„Nein“, antwortete ich auch jetzt. Ich durfte ja nicht alles verraten, was ich wußte, weil ich da meine Waffen gegen sie aus der Hand gegeben hätte.
„So ist es Euch also unmöglich, Eure Anschuldigungen zu beweisen. Wenn Ihr Old Shatterhand seid, so seid Ihr ein berühmter West-, aber kein berühmter Geschäftsmann, von dem ich einen Rat annehmen würde. Diese drei Herren sind Gentlemen; ich kann das beschwören und werde nicht von meiner Verbindung mit ihnen weichen. Wie kommt es überhaupt, daß Ihr glaubt, Euch meiner Sache annehmen zu müssen?“
„Ich bin der Freund eines Verwandten von Euch.“
„Wer ist dieser Verwandte?“
„Euer Neffe Hermann, da neben Euch.“
„Ihr? Sein Freund?“
Ehe ich antworten konnte, antwortete Carpio an meiner Stelle. Er hatte noch immer kein Auge von mir gelassen, und in seinem Gesichte arbeitete es immerfort; der Zweifel stand im Kampfe mit der Hoffnung, sich dennoch nicht zu täuschen. Als er jetzt meine Worte hörte, schrie er förmlich auf:
„Sappho! Du bist's; du bist es wirklich? Ich habe mich also nicht geirrt?“
„Nein, lieber Carpio, ich bin dein alter, treuer Mitschüler und Ferienkamerad.“
Da wankte er auf mich zu, schlang die Arme um mich und weinte bitterlich, als ob ihm das Herz brechen wolle. Und aus dem aus der Tiefe kommenden Schluchzen heraus hörte ich die halblaute Bitte:
„Verlaß mich nicht, Sappho, verlaß mich nicht! Ich gehe sonst zugrunde. Der Onkel mag mich nicht leiden, und die andern trachten mir gar nach dem Leben!“
„Fürchte dich nicht!“ beruhigte ich ihn. „Wenn du bei mir bist, befindest du dich in guter Hut.“
„Ja, bei dir, wie damals, als ich auch nur immer dich allein hatte!“
Der Alte mochte doch einige der halblauten Worte verstanden haben, denn er fragte mich in giftigem Tone:
„Was hat er gesagt? Was meinte er von nach dem Leben trachten?“
„Euch hat er nicht gemeint!“
„Wen denn? Er gehört zu mir. Ich bin sein Oheim und folglich derjenige, der über ihn zu bestimmen hat. Auf Eure ‚gute Hut‘ kann er verzichten? Laßt ihn los!“
„Mr. Lachner, Ihr seid nicht mein Onkel! Ich tue, was ich will. Hermann ist jetzt bei mir, und wo er ist, da wird er bleiben, so lange es ihm gefällt!“
„Oho! Her mit ihm!“
Er wollte uns auseinanderreißen; ich hinderte ihn aber daran, schob ihn von uns ab und sagte:
„Euer Neffe ist mündig; Ihr habt ihm nichts zu befehlen!“
„Ihr mir auch nicht!“ fuhr er mich grimmig an.
„Hier an dieser Stelle doch, denn da sind wir die Herren, wie wir Euch bewiesen haben. Ich habe Euch vor Euern drei Gefährten gewarnt und also meine Pflicht getan. Wollt Ihr nun also wirklich weiter zu ihnen halten?“
„Ja. Wie ich jetzt vermute, seid Ihr jener Schüler, mit dem mein Neffe eine Weihnachtsreise gemacht hat?“
„Ja.“
„Und doch seid Ihr jetzt Old Shatterhand? Hört, einen größeren Bock konnte das Schicksal gar nicht schießen! Ich habe diesen Old Shatterhand stets für einen tüchtigen Kerl gehalten; jetzt aber bin ich anderer, ganz anderer
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