06 - Weihnacht
fremde Nuggets und tötet ihre Besitzer! Ihr seid stinkende Coyoten! Für euch sind meine Kugeln nicht, weil ich sie nur für ehrliche Menschen habe. Euch reite ich mit den Hufen meines Rosses in die Erde!“
Er steckte beide Revolver in den Santillogürtel zurück. Nun sie in seinen Händen keine Waffen mehr sahen, bekamen die Kerle Mut.
„Was sollen wir sein, und was haben wir getan?“ rief der gewesene Prayer-man. „So eine Beleidigung dulden wir selbst von Winnetou nicht! Wir haben auch Gewehre und Revolver!“
Er wollte sein Gewehr von der Schulter nehmen; da deutete der Apatsche mit überlegenem Lächeln zu den Erlen herüber und drohte:
„Das Bleichgesicht Sheppard mag sein Gewehr ruhen lassen, denn dort blickt der Henrystutzen meines Bruders Shatterhand heraus!“
Aller Augen richteten sich nach der Stelle, wo ich den Lauf des Stutzens durch das Gesträuch hielt.
„Donner!“ schrie Corner. „Das scheint ein regelrechter Überfall zu sein! Winnetou nimmt uns von vorn, und Old Shatterhand von der Seite. Sie haben schon lange hier gesteckt, um auf uns zu warten. Was wollt ihr von uns?“
Da trieb auf meinen Wink Rost sein Pferd aus dem Versteck hinaus und sagte:
„Was wir von euch wollen, brauchen wir euch doch wohl nicht erst zu sagen! Der Prayer-man wird wohl wissen, wer ich bin!“
Der Genannte starrte ihn einige Zeit wie abwesend an, stieß dann eine forcierte Lache aus, die sehr verlegen klang, und sagte:
„Der Kellner aus Weston; wahrhaftig der Kellner ist's! Was hat denn Euch hier in diese Berge getrieben, Mr. Rost?“
„Ich suche Mr. Watters Nuggets“, antwortete dieser.
„Sind die hier oben? Er hat sie wohl vergessen gehabt und dann gedacht, daß sie ihm gestohlen worden seien?“
„Laßt Euern Witz! Wir wissen, woran wir sind!“
„Wir? Wen meint Ihr da? Etwa Euch?“
„Nein, sich nicht allein, sondern auch mich“, antwortete ich nun, indem ich die Erlen auch verließ. „Herunter von den Pferden!“
Ich hatte den Stutzen wieder umgehängt und jetzt die Revolver in den Händen. Es trat eine kurze, tiefe Stille ein; dann schrie der Prayer-man mit vor Erstaunen hoher Fistelstimme:
„Das – – das – – das ist ja der famose Mr. Meier, welcher so schöne Weihnachtsverse macht! Und in einem solchen Anzuge – – –! Da denkt man doch gleich – – –“
„Herunter von den Pferden!“ wiederholte ich, ihn unterbrechend.
Corner stand schon oder vielmehr noch unten. Eggly hatte die Situation begriffen und stieg ab. Sheppard aber machte keine Anstalt, meinem Befehle zu gehorchen; da nahm ich meinen Rappen fest zwischen die Schenkel, schoß in zwei schlanken Lanzaden auf ihn zu und an ihm vorüber und schlug ihn dabei mit der Faust an den Kopf, daß er die Bügel verlor. Den in der rechten Hand gehaltenen Revolver hatte ich natürlich mit in die linke genommen. Sein Pferd bäumte sich auf und warf den halb Besinnungslosen in das Gras.
Meinen Hengst wieder umdrehend, hatte ich Carpio vor mir. Seine Augen waren aus weit aufgerissenen Lidern auf mich gerichtet, als ob sie aus ihren Höhlen treten wollten.
„Du bist – – bist – – bist – – Ihr seid – – – seid Old Shatterhand?“ stotterte er in seinem Schulbuch-Englisch.
„Ja, ich bin Old Shatterhand“, antwortete ich, um das, was jetzt vor allen Dingen notwendig war, nicht durch eine Erkennungsszene aufzuheben. „Setzt euch in das Gras, ihr drei, und legt die Waffen hinter euch! Schnell gehorcht, sonst reite ich euch zu Brei zusammen!“
Eggly setzte sich nieder und legte sein Messer und die Revolver hinter sich. Corner tat dasselbe, aber zähneknirschend. Dann hinkte auch Sheppard herbei und setzte sich zu ihnen.
„Nun möchte ich aber doch wissen, was diese Komödie eigentlich bedeuten soll?“ fragte Corner mit jener verwegenen Frechheit, welche das letzte Mittel der Verteidigung ist.
„Das werdet ihr sogleich erfahren“, antwortete ich, indem ich nun auch vom Pferde stieg. „Ich möchte euch eine Frage vorlegen. Ihr drei habt in Weston Watters Nuggets gestohlen?“
„Fällt uns nicht ein!“
„Well! Ganz wie ihr wollt. Ich bin weder der Bestohlene noch der Sheriff oder gar der Richter. Behaltet also, was ihr wißt, für euch. Aber mit diesem alten Mr. Lachner habe ich ein desto notwendigeres Wort zu reden.“
Der Alte war, ebenso wie Carpio, auch abgestiegen; ich wendete mich an ihn:
„Mr. Lachner, Ihr befindet Euch in schlechten Händen. Wie kommt es, daß Ihr
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