06 - Weihnacht
dem Lager aufgestellt, um mich kommen zu sehen. Sie bildeten zu Pferde und in allem Waffenschmucke zwei Doppelreihen, zwischen denen ich hindurchmußte. Am Ende derselben hielt Yakonpi-Topa, der Anführer der Kikatsa, mit den andern Upsaroka-Häuptlingen, und Peteh war bei ihnen. Ich überflog diese Indianer alle mit einem prüfenden Blicke und glaubte, sie auf wenigstens sechshundert schätzen zu müssen.
Man glaube ja nicht, daß ich etwa, als ich zwischen ihnen hindurchritt, aus Scham, gefangen zu sein, eine verlegene Miene gezeigt hätte. Im Gegenteile, ich sah ihnen allen frei, offen und mit forschendem Blicke in die mit den Kriegsfarben bemalten Gesichter und erlaubte meinem Rappen den koketten Tänzelschritt, der ihm so unübertrefflich stand. Die Roten saßen unbeweglich; keiner rührte sich; die Gesichter waren starr; aber in den Augen glühte um so mehr Leben. Es war kein Laut, kein Wort, kein Ruf zu hören, bis wir hindurch waren und nun vor den Häuptlingen hielten. Auch diese waren natürlich zu Pferde. Ihre Gesichter glänzten vor Fettfarbe, und ihre Federgeflechte hingen ihnen von den Köpfen bis auf die Kruppen der Pferde herab.
Als ich meinen Hengst vor ihnen halten ließ, und, ohne Peteh der Beachtung zu würdigen, meinen Blick grad und fest in das Auge Yakonpi-Topas richtete, sagte er im Tone eines Herrschers, der den geringsten seiner Untertanen vor sich hat:
„Was dachte Old Shatterhand, als er durch die Reihen dieser tapfern Krieger ritt?“
„Ich dachte an die mächtigen Kaiser und Könige meines Vaterlandes, welche, wenn sie Einzug halten, ganz ebenso von Kriegern empfangen werden wie jetzt ich.“
„Uff! Old Shatterhand vergleicht sich mit berühmten Herrschern und trägt doch Fesseln an den Händen und den Füßen!“
„Ich bin stolz auf sie, denn sie schänden nicht mich, sondern sie sind ein Zeichen der Feigheit derer, welche, hundert Mann stark, sich nicht offen an mich wagten, sondern mich von hinten aus dem Busche niederschlugen!“
„Uff! Darf ein Gefangener solche Worte sprechen?“
„Ein Gefangener? Yakonpi-Topa, der Häuptling der Kikatsa-Upsaroka, mag mir sagen, wen er mit diesem Worte meint!“
„Dich!“ antwortete er verwundert.
„Mich, mich hältst du für gefangen?!“
„Uff, uff! Deine Hände sind auf dem Rücken und deine Füße unter dem Leib des Pferdes zusammengebunden! Bist du da gefangen oder frei?“
„Ich bin frei!“
„Wei a keh – welch ein Wort! Ich sehe den Stolz auf deiner Stirn und die Kühnheit im Blicke deines Auges; aber die Freiheit, deren du dich rühmst, die sehe ich nicht!“
„Ich bin nie ein Feind der Kikatsa gewesen und habe den Kriegern der Upsarokas stets gegen die Sioux, welche zwar ihre Verwandten, aber dennoch ihre Todfeinde sind, im Kampfe beigestanden. Ist das so oder nicht?“
„Uff! Old Shatterhand spricht mit einer sehr verwegenen Zunge, aber es ist so, wie er sagt.“
„Du sagst, daß es so sei; folglich bin ich von dem Augenblicke an, an welchem ich mich bei euch befinde, ein freier Krieger!“
„Du bist Gefangener unsres Verbündeten!“
„Wer ist das? Ich kenne ihn nicht.“
„Es ist Peteh, der Häuptling der Blutindianer.“
„Pshaw! Hat er gesagt, daß ich sein Gefangener sei?“
„Er sagte es.“
„Er log. Ich werde ihm zeigen, ob ich gefangen bin oder frei. Macht eure Augen auf, ihr Krieger der Upsarokas! Tschah!!“
Wer den Indianer kennt, der weiß, wie er ihn zu nehmen hat. Nichts imponiert ihm mehr als ein kühner Streich, und der echte, begründete Stolz gefällt ihm auch bei seinem ärgsten Feinde. Ja, ich war gefesselt. Ich hatte die Hände auf dem Rücken, und meine Füße waren unter dem Pferde hinweg durch einen Doppelriemen festgehalten; aber ich kannte mein Pferd und vertraute meinem Glücke. Hinter mir hielten die sechshundert Indianer, und vor mir sah ich das verlassene Lager; zwischen diesem und mir befanden sich nur die Häuptlinge, die keines solchen Streiches gewärtig waren. Das Wort ‚Tschah!‘ war, wie bereits einmal bei Winnetous Iltschi in Weston erwähnt, für unsere beiden Pferde die Aufforderung, hochzuspringen. Indem ich es fest zwischen die Schenkel nahm und, mich vorbeugend, dieses Wort ausrief, flog es, mir gehorchend, zwischen Peteh und einem Unterhäuptling hinein, so daß sie mit ihren Pferden auseinandergetrieben wurden; einem zweiten Schenkeldrucke und dem anfeuernden Apatschenrufe „Atseh!“ folgte eine Lancade, welche mich ganz hindurch und bis an
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