06 - Weihnacht
nacheinander über den Angwa-, Cherry-, Whiskey-, Muddy-, Thowau- und Cottonwood-Creek und blieben für die nächste Nacht am Crookscreek liegen, wo wir uns zwischen dem Greengebirge im Süden und den Granitbergen im Norden befanden. An diesem Abende konnte ich meinem Carpio nicht einmal zuwinken, so fern wurde ich von ihm und Rost gehalten, und als ich am andern Morgen wieder auf das Pferd gebunden wurde, waren die beiden mit ihren Wächtern schon über den Creek hinüber.
Von hier aus ging es bis zum Nachmittag in fast genau westlicher Richtung weiter. Da ritten wir zwischen dem Sweetwaterflusse und den Antelope Hills hindurch und kamen dem Southpaß so nahe, daß wir an der Stelle Lager machten, wo sich der Willow Creek mit dem Sweetwater vereinigt.
Auch heut war es mir unmöglich, den Gefährten nahe zu kommen. Ich wurde sehr besorgt um sie, natürlich besonders um Carpio. Es war sehr kalt hier oben; die Berge trugen Schnee. Unter andern Verhältnissen hätte die imposante Szenerie des Hochgebirges einen tiefen Eindruck auf mich gemacht, so aber ging sie für mich ganz verloren. So will ich auch für den nächsten Tag nur sagen, daß wir endlich den Southpaß hinter uns brachten und dann am Pacific Creek jenseits herabritten.
Schon um die Mittagszeit bemerkte ich, daß irgend etwas Wichtiges im Werke sei. Man zog mir die Fesseln noch enger zusammen, und ich bekam zu meinen vier Wächtern noch zwei, so daß ich nun sechs hatte. Dafür aber entschwanden nun alle, die uns voranritten, meinen Augen. Ich schloß daraus, daß wir uns dem Ziele näherten. Ich war mit den sechs Blutindianern allein, während Peteh mit allen übrigen vorausgeeilt war, um das Lager der Krähen eher als ich zu erreichen und diese auf die Ankunft eines so wichtigen Gefangenen vorzubereiten.
Einem andern hätte jetzt das Herz vor Sorge schneller geschlagen, mir aber nicht; ich war innerlich sehr ruhig. Und wenn ich ja in besonderer Sorge gewesen wäre, so geschah grad jetzt etwas, was alle meine etwaigen Befürchtungen sofort behoben hätte. Wir hatten eben einen ziemlich engen Talkessel durchritten, als ein Schuß krachte, wo, das war nur für mein Ohr zu unterscheiden, denn die Felswände warfen den starken Knall wohl in zehnfachem Echo zurück. Das war mein Bärentöter gewesen, dessen Stimme ich genau kannte. Winnetou hatte diesen Schuß getan, um mich zu benachrichtigen, daß er nicht weit hinter mir sei. Er durfte dies jetzt wagen, weil in der Nähe des Lagers der Krähen ein Schuß nicht auffiel, denn diese Indianer durchstreiften doch jedenfalls die Gegend, um zu jagen. Ich war überzeugt, daß der Häuptling der Apatschen alle unsere bisherigen Lagerplätze umschlichen hatte, ohne aber eine Gelegenheit zur Flucht für uns herbeiführen zu können. Dies lag wohl meist daran, daß ich von Rost und Carpio getrennt gewesen war. Winnetou wollte uns drei zusammenhaben.
Nun trafen wir, je weiter wir kamen, desto häufiger auf Pferde- und auch Fußspuren, welche nicht von den vorangerittenen Blutindianern stammten; es waren Upsaroka-Fährten. Sie kamen schließlich von allen Seiten her, was auf eine größere Nähe des Lagers schließen ließ, und als wir zwischen zwei sehr eng zusammentretenden Höhen hindurchgeritten waren, lag es vor uns, sich über eine kleine, freie Ebene dehnend, welche nach allen Seiten einen Durchmesser von höchstens einer englischen Meile hatte.
Ich war erstaunt, kein einziges Zelt zu sehen! Hier oben zwischen schneebedeckten Bergen, in dieser vorgeschrittenen Jahreszeit, in einer den Krähenindianern fremden Gegend nur rohe Zweighütten, die schon jetzt nur halben Schutz gewährten! Warum die Krähen diese späte Zeit zu ihrem Kriegszuge gewählt hatten, das war mir vollständig unerfindlich. Der Winter konnte schon heut oder morgen im stöbernden Schnee herniedersinken und den Rückweg nach der Laramie unmöglich machen. Was dann? Hatten diese unvorsichtigen Leute etwa ganz sicher darauf gerechnet, die Schoschonen unbedingt zu besiegen und dann den Winter in den geschützten Dörfern derselben zuzubringen? Da hatten sie sich in unserem Freunde Avaht-Niah, dem Häuptling der Schlangen, ganz unverzeihlich verrechnet!
Auch war keine Spur von Ordnung zu ersehen. Es gab keine Gassen, keine Hüttenreihen. Alles lag regellos durcheinander, wie man Maulwurfshaufen auf einer Wiese liegen sieht. Im Augenblicke unserer Ankunft waren alle Hütten und alle Plätze zwischen ihnen leer, denn die Indianer hatten sich vor
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