06 - Weihnacht
die erste Hütte brachte; dann schoß das herrliche Tier in das Lager hinein. Hinter mir war es für einige Sekunden still; dann aber brach ein Geheul los, für welches es in keiner Sprache ein bezeichnendes Wort gibt. Ich sah es nicht, aber ich erfuhr es dann; alle sechshundert Indsmen drängten nach dem Lager, um mir zu folgen; jeder wollte vorwärts und keiner zurückbleiben. Das gab einen unbeschreiblichen Tumult, einen Wirrwarr, bei dem einer den andern hinderte. Viele Pferde wurden reiterlos; es gab einen förmlichen Kampf, bei dem es auch nicht ohne Verletzungen abging. Hütten wurden beschädigt oder gar niedergerissen; lose Teile der Kleidung, fliegender Federschmuck und ähnliche Dinge gingen verloren; kurz, dieser eine Mensch, den man einen Gefangenen nannte, hatte das ganze Lager und dessen Bewohner in einen Zustand versetzt, den man für ganz unmöglich halten sollte.
Für mich, der ich die Hände nicht frei hatte, war es keine Kleinigkeit, in fliegendem Galoppe zwischen den so regellos liegenden Hütten hindurchzukommen; es gelang mir aber, dank meines Hatatitla, der jeden meiner Gedanken zu erraten schien. Jenseits der letzten Hütte gab es niedriges Gebüsch; es ging hinein und hindurch, daß es nur so krachte; dann kam ein schmaler Streifen Wald, durch den ich langsamer ritt. Hierauf zog sich ein langgestreckter, ziemlich freier Grasstreifen bogenförmig nach links; der paßte mir; wir flogen, nun wieder in Karriere, auf ihm weiter. Nun kam ein steiniges Wirrwarr, mit Schlinggewächsen bewuchert; ich redete dem Hengste durch einige freundliche Worte zu – er kam hindurch. Nun noch mehr links wieder Wald, willkommenerweise mit ziemlich weit auseinander stehenden Bäumen. Es ging hinein, immer weiter und weiter, bis ich annehmen konnte, das Lager im Halbkreise umritten zu haben. Ich erreichte den Rand dieses Gehölzes und sah zu meiner Freude die beiden Höhen, zwischen denen wir bei unserm Eintreffen durchgekommen waren, zu meiner Rechten vor mir liegen. Links dehnte sich das Lager; kein Mensch war zu sehen, denn alle folgten hinter mir her. Ich flog hinüber, an den Hütten lang hin und blieb dann an derselben Stelle halten, von welcher aus der für die Indianer so unerwartete Ritt begonnen hatte.
Hatatitla stand so ruhig, als ob er gar nicht von diesem Orte weggekommen sei; nur durch ein mehrmaliges Werfen des schönen Kopfes deutete er an, daß er an der Sache Geschmack gefunden habe. Er hatte sich unübertrefflich gehalten! Wie gern hätte ich ihm durch Klopfen oder Streichen meine Anerkennung bewiesen; ich konnte ihn nur durch Worte liebkosen; er verstand mich aber auch so. Wer kein solches Pferd besessen hat, der kann es freilich wohl kaum verstehen, daß man unter Umständen nicht zögert, sein Leben für ein so edles Tier auf das Spiel zu setzen!
Jetzt hörte ich Stimmen da drüben im Walde, aus welchem ich zuletzt gekommen war. Man schrie so laut, daß ich es hier vernahm. Dann erschienen Reiter, einer, zwei, fünf, zehn, zwanzig und so weiter. Sie folgten meiner Fährte, die wieder nach dem Lager führte. Sie stutzten; dann sahen sie mich. Immer mehr kamen aus dem Walde hervor, einzeln oder zu Trupps vereint. Sie glichen einem zerstreuten Pulk von Kosaken, der seinen Sammelplatz da hatte, wo ich mich befand.
Die ersten, welche mich erreichten, wußten nicht, wie sie sich gegen mich verhalten sollten. Sie hielten es für das beste, gar nichts zu sagen, aber mich so zu umringen, daß mir die Gelegenheit zu einem zweiten Durchbruche nicht geboten war. Dieser Kreis wurde immer zahlreicher und dichter. Man drängte sich so eng an mich, daß ich mir mit den Worten Luft zu machen versuchte:
„Sind die Söhne der Upsarokas Fleischfliegen, die man aus dem Munde spuckt, oder sind sie Krieger, deren man nicht sechsmal hundert braucht, um einen einzigen Reiter zu bewachen? Wer kein Ungeziefer ist, der mache Platz für Old Shatterhand!“
Das half sofort; der Kreis wurde weiter auseinandergezogen und bot nun auch den Häuptlingen Raum, hindurch- und zu mir heranzukommen. Peteh blitzte mich mit tückischen Augen an, sagte aber kein Wort. Die Unterhäuptlinge waren still, weil sie nicht sprechen durften. Yakonpi-Topa hielt sein vor Anstrengung noch schnaubendes Pferd vor mir an und betrachtete das meinige mit bewundernden Blicken. Das Tier war ihm in diesem Momente wichtiger als der Reiter.
„Nun, habe ich bewiesen, daß ich frei sein kann, wenn ich will?“ fragte ich.
Er antwortete mir nicht
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