06 - Weihnacht
geringste Bequemlichkeit. Eine auf der Erde liegende Pferdedecke bildete die ganze Ausstattung, das ganze Meublement.
„Old Shatterhand setze sich nieder, bis ich ihm eine Hütte habe bauen lassen!“ sagte er; dann ging er wieder.
„Old Shatterhand!“ Wenn ich es soweit bringen könnte, daß er sich statt dieses Namens des Ausdruckes ‚mein Bruder‘ bediente! Wo steckten Rost und Carpio und wo Corner und seine Kumpane? War Hiller mit hier? Besonders diese letztere Frage hatte jetzt Wichtigkeit für mich. Hiller war kein Mörder. Wenn er auch bei der Tötung der sechs Krähen beteiligt gewesen war, hatte er jedenfalls nur aus Notwehr gehandelt. Wenn er sich mit hier im Lager befand, so mochte die Versammlung über mich beschließen, was sie wolle, ich war entschlossen, ihn loszumachen. Jetzt für den Augenblick konnte ich freilich nichts tun als warten, und das tat ich in aller Ruhe, zumal ich neben den rein äußerlichen Vorteilen auch schon einen sehr wichtigen moralischen errungen hatte, indem Yakonpi-Topa der Meinung gewesen war, daß eine Verbindung mit mir derjenigen mit hundert Blutindianern vorzuziehen sei.
Als er nach einer Weile in die Hütte zurückkehrte, kamen zwei Rote mit, welche einige lange, aus Decken gewundene Bündel niederlegten und sich dann wieder entfernten. Der Häuptling setzte sich mir gegenüber und betrachtete mich längere Zeit mit unverheimlichter Aufmerksamkeit. Er schien zu erwarten, daß ich das Gespräch beginnen würde; ich wußte aber, was ich mir und meinem Namen schuldig war, und schwieg also. Darum fing endlich er mit der Frage an:
„Old Shatterhand ist mit Winnetou beisammengewesen?“
„Ja“, antwortete ich.
„Wo hat er sich von ihm getrennt?“
„Das brauche ich dem tapfern Häuptling der Kikatsa doch nicht erst zu sagen, denn er hat es jedenfalls von den Blutindianern und deren Gefangenen gehört.“
„Uff! Old Shatterhand hat richtig gesprochen. Wo wird sich der Häuptling der Apatschen jetzt befinden?“
„Selbst wenn ich das wüßte, würde ich es dir sagen, dessen Gefangener ich bin?“
„Nein. Er wird sich alle Mühe geben, dich aus der Gefangenschaft zu befreien?“
„Pshaw! Ich brauche seine Hilfe nicht. Wohl aber hättest du seinen Beistand nötig.“
„Uff! Ich?“
„Ja.“
„Old Shatterhand sagt nie etwas, was er nicht beweisen kann; ich bin bereit, die Gründe dieser Behauptung zu hören.“
„Die sind sehr einfach. Du willst die Schoschonen bekämpfen und hast sechshundert Mann bei dir, von denen du den hundert Blutindianern schon jetzt nicht trauen darfst; die Schoschonen aber können über zehnmal hundert Krieger zusammenbringen!“
„Sind sie denn beisammen? Wissen die Schoschonen, daß wir kommen und wo wir uns jetzt befinden?“
„Meinst du, daß sie keine Kundschafter senden?“
„Die schickt man doch nur dann aus, wenn man weiß, daß man bekriegt werden soll!“
„Wissen das die Schoschonen nicht? Meinst du wirklich, daß eine Schar von sechshundert Kriegern durch die Berge ziehen kann, ohne daß sie gesehen und beobachtet wird? Vor schon fast einem Mond wurde fern von hier in den Städten der Bleichgesichter davon gesprochen, daß die Krähen gegen die Schlangen ziehen wollen; wenn das die Weißen wissen, sollten es die Schlangen nicht auch erfahren haben?“
„Uff!“ sagte er betroffen.
„Du kannst dich darauf verlassen, daß sie unter Umständen euch mit über tausend Kriegern empfangen werden. Darum habe ich gesagt, daß dir der Beistand des Apatschen nötiger sei als mir.“
„Wie könnte er uns beistehen, da er ein Freund unserer Feinde ist!“
„Er ist, ganz ebenso, wie ich es bin, ein Freund aller roter Männer; er bleibt auch dann ihr Freund, wenn sie sich untereinander entzweit haben. Er würde mit Freuden bereit sein, Frieden zu stiften zwischen euch und den Schoschonen.“
Da streckte er beide Hände abwehrend aus und rief:
„Frieden? Die Kriegsbeile sind ausgegraben, weil die Schlangen unsere Krieger ermordet haben; nur Blut kann diese Tat abwaschen. Wie kann Friede zwischen uns und ihnen sein! Und wenn mehr als zehnmal hundert Schoschonen gegen uns gezogen kämen, wir würden uns doch nicht vor ihnen fürchten, denn Wagare-Tey, der Kriegshäuptling dieser Leute, ist ein junger Hund, der noch nicht beißen kann.“
„Vergiß nicht, daß Avaht-Niah, der oberste Häuptling der Schoschonen, zwar seines hohen Alters wegen daheimbleiben muß, aber jedenfalls dem jungen Häuptlinge seinen Rat
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