06 - Weihnacht
Gefangene ausgeliefert wird.“
„Meint Old Shatterhand, daß ich ihn täuschen würde?“
„Mich nicht, o nein, mich gewiß nicht. Es sind noch sechs Bleichgesichter bei Nana-po gewesen. Wo befinden sich die?“
„Das weiß ich nicht.“
„Schön! Wenn ich von den Gewehren spreche, meine ich nur immer den Fall, daß Nana-po eine Schuld auf sich geladen hat, welche mit ihnen bezahlt werden muß, und ich sagte bereits, daß das noch nicht erwiesen ist und ich es erst untersuchen muß. Und nun kommt vor allen Dingen die Hauptsache: Ein Gesandter ist als freier Mann zu betrachten und zu behandeln; ich bin jetzt aber Gefangener. Ich kann also nicht eher von den Gewehren mit dir sprechen, als bis ich frei bin.“
„Uff!“ rief er aus, von dem Trumpfe, den ich so unerwartet ausspielte, im höchsten Grade überrascht.
„Ja“, fuhr ich fort, „wenn die Versammlung nicht meine Freiheit beschließt, meine vollständige Freiheit, so kann von den Gewehren keine Rede sein! Ich habe es gesagt, und was Old Shatterhand sagt, das gilt. Howgh!“
Ein Indianer muß seine Gefühle verbergen können; auch Yakonpi-Topa gab sich Mühe, zu verheimlichen, daß ihn diese meine Bedingung in Verlegenheit brachte. Er nahm einen Gedanken zu Hilfe, welcher ihm sehr gelegen kam:
„Old Shatterhand darf nicht klagen. Ich habe ihn bereits von seinen Fesseln befreit und kann zwar gegen die Bestimmung der Versammlung nichts tun, werde ihm aber noch weiter beweisen, daß ich ihn nicht als unsern, sondern nur noch einstweilen als den Gefangenen der Blutindianer betrachte.“
Er öffnete die Bündel. Sie enthielten die Gewehre von Carpio, Rost, Sheppard, Corner, Eggly und dem alten Lachner, ferner ihre andern Waffen und dazu sämtliche übrigen Gegenstände, die ihnen abgenommen worden waren.
„Die Gefangenen wurden uns übergeben, so mußten wir einstweilen, bis die Versammlung darüber entschieden haben wird, auch ihr Eigentum bekommen“, erklärte der Häuptling. „Old Shatterhand mag sich nehmen, was ihm gehört; es wird entschieden werden, ob er es behalten darf oder nicht.“
Natürlich ließ ich mir das nicht zweimal sagen; ich langte hocherfreut zu und war nun nach dieser neuen Errungenschaft doppelt überzeugt, daß mir unser Fortkommen keine unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten machen werde. Als ich alles in den Gürtel und in die Taschen gesteckt hatte, sagte ich:
„Yakonpi-Topa, der tapfre Häuptling der Kikatsa, tut wohl daran, mir ein solches Vertrauen zu schenken; er wird den Beweis später erhalten. Noch größere Dankbarkeit aber würde er sich erwerben, wenn er die Hütte, welche für mich errichtet werden soll, für drei Personen herstellen lassen wollte.“
„Welches sind die andern beiden?“
„Die zwei jungen Männer, welche mit mir ergriffen worden sind. Sie besitzen keine Kenntnis von dem wilden Westen und sind so krank und schwach geworden, daß sie den Tag der Beratung vielleicht gar nicht erleben würden. Außerdem gebe ich für sie mein Wort, so wie ich es für mich selbst gegeben habe, daß sie das Lager bis zum Versammlungstage ohne deine Erlaubnis nicht verlassen werden. Sie sind besondere Bekannte von mir.“
„Ich habe sie gesehen und wollte mit ihnen sprechen; sie konnten aber nicht antworten. Sie sind wie Vögel, welche keine Flügel haben. Aber wenn sie mit Old Shatterhand zusammenwohnen, und er trägt seine Waffen, so ist es nutzlos, wenn ich ihnen die ihrigen vorenthalte. Sie können ja doch nicht damit umgehen!“
„Nein. Stecken sie mit den andern weißen Gefangenen zusammen?“
„Nein. Peteh, der Häuptling der Blutindianer, hielt sie von ihnen getrennt, und so habe auch ich sie abgesondert.“
„Will Yakonpi-Topa mir diese meine Bitte erfüllen?“
„Ja. Old Shatterhand mag mit mir kommen, damit ich ihm zeige, wo die beiden Bleichgesichter sich befinden!“
Wir gingen hinaus, wo zwischen den Hütten jetzt mehr Leben herrschte als da, wie ich während meiner Scheinflucht hindurchgeritten war. Die Roten sahen, daß ich jetzt das Messer und die Revolver wieder hatte, doch verbot ihnen der Stolz, eine erstaunte Miene darüber zu zeigen. Wir kamen an der Stelle vorüber, wo die für mich bestimmte Wohnung errichtet wurde. Sie war beinahe fertig und so groß, daß es zur Aufnahme meiner beiden Gefährten gar keiner Vergrößerung bedurfte. Diese befanden sich in einer in der Nähe liegenden Hütte. Der Häuptling ging nicht weiter mit; er zeigte sie mir nur und fügte
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