06 - Weihnacht
zusammen, als ob er der Schuldige sei. Die fremde Frau sah dem Kommenden mit sichtlicher Bangigkeit entgegen. Franzi brannte sich, um sich für den Kampf zu stärken, eine neue Zigarre an.
Die Wirtin blieb erst ganz verwundert an der Tür stehen; dann kam sie langsam näher, bis sie vor ihrem Manne stehen blieb.
„Was brennst du denn da, Franzi?“ fragte sie ihn in einem eigentümlich freundlichen Ton, dessen Bedeutung ich damals noch nicht kannte.
„Den Baum“, antwortete er mit ganz derselben Liebenswürdigkeit.
„Warum?“
„Weil's Weihnacht ist.“
„Für wen?“
„Für mich.“
„Seit wann?“
„Seit kurzer Zeit.“
„So, so, schau, schau! Seit kurzer Zeit! Da sind die Lichter ein Viertel abgebrannt und vorher waren sie schon halb abgebrannt. Woher mag das wohl kommen?“
„Weil es wahrscheinlich eine Sorte ist, die vom Verbrennen länger wird.“
„So eine gute Sorte kenne ich nicht; die möchte ich mir auch gleich kaufen! Es wird aber wohl so sein, daß du erst die halben verbrannt und dann noch neue angezündet hast, damit ich nichts merken soll. Du hast gedacht, daß ich, wie gewöhnlich, nicht wieder hereinkommen werde. Ist es so, oder ist es nicht so, Franzi?“
„Es ist schon so.“
„Höre, ich will dir sagen: Es ist gut, daß du es wenigstens zugibst! Also für dich brennst du den Baum?“
„Ja.“
„Nur für dich?“
„Für mich und diese Herren Studenten.“
„Dagegen hätte ich nichts, wirklich nichts, denn du bist auch einer gewesen, worüber wir beide noch heute unsere Freude haben. Also du brennst ihn für sonst weiter gar niemand?“
„Nein.“
„Schön! Jetzt sagst du mir die Wahrheit nicht. Du magst für dich und die Herren Studenten anbrennen, was und wann du willst, Wein trinken und Zigarren rauchen, so viel du willst, aber – – aber – –“ und jetzt stieg ihre Stimme plötzlich um eine Septime höher, und sie stemmte die Hände in die Hüften – – – „für wen, frag' ich, hat er denn vorhin gebrannt, als die Wurst und der Kuchen und die Kleider und das Geld darunterlagen und dieser Herr Student ein so schönes Gedicht geredet hat, von dem ich jedes Wort verstanden hab'?“
Jetzt sprang Franzi auf.
„Weib“, rief er, „du hast gehorcht!“
„Ja, gehorcht hab ich“, nickte sie triumphierend.
„Wo?“
„Dort am Fensterladen.“
„Grad dort am Fenster, wo der Baum auf dem Tische steht?“
„Ja, grad dort am Fenster, wo der Laden ein großes Astloch hat!“
„Du, das machst du mir nicht wieder!“
„Nicht? Warum sollte ich's nicht wieder machen? Das Haus ist mein; der Laden ist mein, und das Astloch ist also auch mein; ich kann hindurchgucken, wann es mir beliebt. Von dem ganzen Hause ist nicht einmal dieses Astloch dein, und du verschenkst mein Geld und meine Sachen und willst mir auch noch zu befehlen haben?“
„Höre, beleidige mich nicht in Gegenwart von Studenten, sonst zeige ich dir, was sapienti pauca heißt!“
Er wußte höchstwahrscheinlich ebensowenig wie sie, was diese beiden Wörter bedeuten, dennoch verfehlten sie den Zweck, ihr zu imponieren, nicht. Er wollte ihr durch sein Latein nur zeigen, daß er ihr geistig überlegen sei; mochte sie nun dies anerkennen oder dem Worte pauca einen etwas gewalttätigen Sinn beilegen, kurz und gut, sie antwortete:
„Einverstanden! Pauke deine sapienti jetzt, aber morgen früh sehen wir uns wieder!“
Sie drehte sich um und ging hinaus.
„Bei allen Heiligen“, seufzte er, indem er sich wieder niedersetzte, „sie hat gelauscht; sie hat alles gesehen und gehört! Dieses Astloch, das verteufelte! Na, morgen nagle ich es zu; ich nehme das dickste Brett und schlage es drauf!“
Die Wirtin aber hatte die Tür nicht zugemacht, sondern nur angelehnt; sie war draußen stehen geblieben und hatte seine Worte gehört. Jetzt kam sie wieder herein, ging auf ihn zu, legte ihm die Hand vertraulich auf die Achsel und sagte lachend:
„Franzi, ich weiß ein Brett, das so dick wie kein anderes ist; du hast's vor deinem Kopf. Nimm das und nagle es vor das Loch; dann geht nicht nur kein Blick, sondern sogar auch keine Kanonenkugel durch! Kennt dieser Mann seine Frau noch nicht! Sollte man das für möglich halten? Bin ich etwa eine Geizkatze, he? Sehe ich dir auf die Finger, wenn du Geld ausgibst? Ist nicht alles, was wir verdienen, ebensogut dein wie mein? Aber es ist mir nicht gleichgültig, wer in meinem Hause wohnt, und wenn du eine Christbescherung machst und meine
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