06 - Weihnacht
der Zigarrenteufel in den Magen beißt.“
„Nein, nicht beißt, sondern hebt – hebt – – hebt und sogar um – – – umwenden will!“
„Trinken Sie nur! Es hilft; ich weiß es genau.“
Ich wußte nicht, ob das empfohlene Mittel wirklich anzuraten sei, denn meine Bekanntschaft mit dem Weine und seine Wirkungen war damals genauso tief und umfassend, wie die Kenntnisse eines Eskimos über Datteln und Bananen; aber weil Franzi mir mit solcher Überzeugung zuredete, unterstützte ich seinen Rat, worauf mein Busenfreund das Glas leerte und dann wie ein Seekranker nach dem Kanapee wankte, um sich auf demselben auszustrecken. Ich bat den Wirt, uns schlafen gehen zu lassen; er aber erklärte lachend:
„Fällt mir gar nicht ein! Wir bleiben noch recht hübsch beisammen. Ich muß die Gelegenheit ausnützen, denn an ihr Wiederkommen darf ich doch nicht glauben, denn das mit dem Paschen war doch bloß Phantasie?“
„Ja; es versteht sich doch ganz von selbst, daß wir keine Schmuggler sind. Wir haben pro Person zwei Zigarren in die Stiefel gesteckt, obwohl ich wußte, daß man mehr mitnehmen darf. Ich wollte Carpio nicht um das Vergnügen bringen, sich für einen staatsgefährlichen Menschen zu halten.“
Da richtete sich der Genannte kerzengerade vom Kanapee auf und fing mit hohler; drohender Grabesstimme an:
„Ich staatsgefährlich? Ja! Wenn es mir so bleibt wie es mir jetzt ist, so – – so – – kann es schrecklich werden, denn da – – da – – da falle ich gleich wieder um!“
Er tat, was er gesagt hatte. Franzi lachte lustig auf; ich aber hatte Sorge um den Freund und drang so lange in den unermüdlichen Wirt, bis er, allerdings gegen das Versprechen, morgen noch bei ihm zu bleiben, darauf einging, uns unser Zimmer zu zeigen. Ich zog Carpio vom Sofa auf und umfaßte ihn, um ihn zu führen; er aber riß sich los und sagte:
„Ich brauche keine Stütze. Ich bin nur drehend von den starken Zigarren, die – – die – – ich habe ja nichts, gar nichts gegessen!“
„Ich glaube, der Wein ist auch mit schuld.“
„Möglich! Doch darüber später, wenn wir allein sind. Komm!“
Er nahm mich bei der Hand und wankte, während Franzi uns leuchtete, an derselben hinaus und die Treppe hinauf, wo unsere ‚gute Stube‘ lag. Als uns der Wirt in diese geführt hatte, sagte er uns Gutenacht und ging, indem er das Licht zurückließ. Wir sahen uns um.
„Gute Stube!“ Jawohl, das war sie allerdings, und zwar eine sehr gute, eine außerordentlich gute Stube! Man weiß, was für einen Raum der Bürgersmann mit diesem Ausdruck zu bezeichnen pflegt, nämlich eine Stube, in welcher alle möglichen und unmöglichen sogenannten ‚bessern‘ Möbel und sonstige Herrlichkeiten vom Urgroßvater aufgestellt und zusammengeschachtelt werden, wobei natürlich auch der obligate Glasschrank nicht fehlen darf. Dieses Raritätenkabinett wird selten betreten, noch seltener gelüftet, gilt als Familienheiligtum und darf nur alle Jahrhunderte einmal einem Gaste, den man besonders ehren will, als Schlafzimmer dienen.
Auch die besser situierten Stände haben gute Stuben, allerdings ‚Salons‘ genannt. An ihre Einrichtung ist mehr Geld verschwendet worden, als die Mittel eigentlich erlauben; diese teuren Sachen müssen geschont werden; darum sind sie nicht zum Gebrauche sondern zum Prunk, zum Anstaunen da, und selbst wenn der Hausherr es einmal wagen wollte, sich auf einen solchen Stuhl zu setzen oder den Teppich mit seinen Stiefeln zu berühren, würde er von der Dame des Hauses einfach und ohne Anwendung übermäßiger Höflichkeit zur Tür hinauskomplimentiert.
Das Zimmer, in welchem wir schlafen sollten, war nicht gebrauchsunfähig, und dennoch, zumal nach unserer persönlichen Ansicht, eine gute Stube im wahrsten Sinne des Wortes. Es standen da zwei breite Betten, so breit, daß jedes von ihnen drei Personen genügend Platz geboten hätte, der schon erwähnte Glasschrank, ein Tisch, ein Kanapee und zwei Stühle. Mehr als diese Möbel aber interessierte uns ein dreibeiniger hölzerner Schrägen, welcher wohl ein Dutzend Äpfel-, Käse-, Quark- und andere Kuchen trug. Noch entzückender war der Anblick des Himmels über uns. In diesen, nämlich in die hölzerne Zimmerdecke, waren zahlreiche Haken eingeschraubt, an denen Schinken, Räucherspeck, sonstiges Fleisch und alle möglichen Sorten von Würsten hingen. Diese Herrlichkeiten erfüllten die gute Stube mit einem kräftigen Dufte, dessen
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