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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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daß das vorhin deklamierte Weihnachtsgedicht aus meiner berühmten Stahlfeder stamme. Als die Frau dieses hörte, fragte sie mich:
    „Ist das wahr, wirklich wahr? Sind Sie wirklich der Verfasser dieses Gedichts, Sie, junger Mann?“
    Ich bejahte diese Frage mit dem bekannten, sanften Erröten, welches ein Zeichen jener verdienstvollen Bescheidenheit ist, die jeden zeitgenössischen deutschen Dichter ziert.
    „Wie mich das freut! Denn eigentlich bin ich dieses Gedichtes wegen noch einmal heruntergekommen. Es hat auf mich und ganz besonders auf meinen Vater einen tiefen Eindruck gemacht, ja, es schien, als ob es gerade für uns und für keinen andern Menschen gedichtet worden sei. Ich möchte es darum gern, ja gar so gern besitzen, und wollte Sie, der Sie es deklamiert haben, fragen, ob Sie mir es wohl diktieren möchten, falls ein Papier vorhanden wäre.“
    Diese letzteren Worte waren an Carpio gerichtet, welcher Busenfreund sofort aufsprang und sein Notizbuch hervorzog. Ich habe bereits erwähnt, daß es eine Zeit gab, in welcher jeder Mitschüler mein Gedicht bei sich trug; Carpio war diesem Brauche treu geblieben. Dieser Busenfreund nahm es aus dem Buche und reichte es der Frau mit jener wundervoll abgerundeten, gentleman-liken Armbewegung hin, welche nur jungen Gymnasiasten eigen ist, wobei er sagte:
    „Ich besitze es zweimal, nämlich im Kopfe und hier auf dem Papiere. Nehmen Sie, bitte, die Abschrift, und lassen Sie mir den Kopf, so ist uns beiden geholfen.“
    Der gute Mensch schien diesen Worten nach zu fühlen, daß ihr mit seinem Kopfe wahrscheinlich sehr wenig geholfen sei. Sie zögerte nicht, sein Geschenk anzunehmen, und die Art und Weise, wie sie dies tat und sich bei ihm und mir bedankte, bestätigte aufs neue unsere Ansicht, daß sie früher nicht das gewesen sei, was sie jetzt war. Dies brachte auf meinen Freund eine so gute Wirkung hervor, daß er ihr in geheimnisvoller Weise andeutete, es sei ihm auch außerhalb dieses Gedichtes möglich, ihr einen vielleicht noch größeren Dienst zu erweisen.
    Als sie ihn hierauf stumm fragend anblickte, brannte er sich eine neue Zigarre an und begann dann, von Christoph Kolumbus und Amerigo Vespucci zu erzählen. Er durchflog die Zeit vom Ende des fünfzehnten Jahrhunderts mit feierlicher Gründlichkeit, überging nichts von allem, was während dieser Zeit in Amerika geschehen war, brachte dann seinen geheimnisvollen Verwandten zur Sprache und ließ dann endlich, worauf ich längst gewartet hatte, die drei bekannten Blitze los – El Dorado, Millionär und Universalerbe. Als er glaubte, sie nun gehörig vorbereitet zu haben, machte er ihr das Anerbieten, ihr ein Empfehlungsschreiben an diesen Verwandten mitzugeben.
    Ich war fast starr vor Erstaunen! Mir, seinem Busenfreunde, hatte er ein solches Empfehlungsschreiben noch niemals offeriert, was er doch ganz gefahrlos hätte tun können, weil er mein Ideal, ein Globetrotter zu werden, nicht kannte und also annehmen mußte, daß ich während meines ganzen Lebens nicht in die Lage kommen würde, dieses Schreiben abzugeben. Und hier, wo er hundert gegen eins wetten konnte, daß man es abgeben werde, bot er es einer ganz fremden Person an, deren Busenfreund er nie gewesen war und auch niemals werden konnte!
    Und die Frau? Sie ging auf seinen Vorschlag ein, vielleicht nur, um ihn nicht zu beleidigen, denn auf das Empfehlungsschreiben eines jungen Schülers war wohl nur wenig Wert zu legen. Er bat den Wirt um Schreibzeug und Papier und erklärte, als er dies bekommen hatte, der Frau, daß er nun freilich ihren Namen wissen müsse. Sie nannte ihm denselben, und so erfuhr ich, daß sie Elise Wagner hieß. Indem er schrieb, setzte er sich so, daß mein Blick das Papier nicht erreichen konnte. Also eine Fremde durfte die Adresse seines einstigen Erblassers wissen, ich aber nicht! Ich fühlte mich dadurch nicht beleidigt, denn ich war gewohnt, allen seinen Eigenheiten Rechnung zu tragen, und wendete mich ganz von ihm ab, damit er ganz sicher sei, daß ich ihm nicht ins Geheimnis schaue. Er vollendete, während ich mich mit dem Wirte unterhielt, den Brief, welchen er dann der Frau mit der bescheidenen Andeutung überreichte, daß ihr dieses Schreiben von ungeheurem Nutzen sein werde.
    Grad als er dies tat, wurde die Tür geöffnet, und die Wirtin trat herein. Der liebe Franzi mochte darüber wohl ein wenig erschrecken, beherrschte sich aber unsertwegen so, daß ihm nichts anzumerken war. Mein Busenfreund duckte sich

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