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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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gesuchten Raubmörder oder durchgegangenen Bankdirektor zu verwechseln, so kann ich mich nur ruhig einsperren lassen, bis mich mein lieber Vater wieder holt!“
    „Mach dir darüber keine Sorge! Solange ich bei dir bin, reicht mein Paß für uns beide aus, denn erstens habe ich keine Schwester, welche alle Dummheiten begeht, zweitens geht bei mir kein Nagel durch die Stiefelsohle, und drittens habe ich es auch noch nicht zum Fidibusfabrikanten en gros gebracht. Übrigens hast du weder mit einem Raubmörder noch mit einem Bankdirektor die geringste Ähnlichkeit.“
    „Wirklich?“
    „Ja.“
    „Warum?“
    „Weil du für einen Bankdirektor viel zu jugend- und für einen Raubmörder viel zu tugendhaft aussiehst. Du wirst also einstweilen noch nicht eingesperrt werden.“
    Diese Ausführungen waren von solcher Beweiskraft für ihn, daß er sich beruhigte.
    Unser guter Franzi wurde durch die bekannte Assoziation der Ideen von den Fidibus auf die Zigarren geleitet; er offerierte uns von neuem welche. Ich griff zu, warnte aber Carpio, dies auch zu tun, denn die Wirkung der mit dem Reisepaß genossenen war noch nicht vorüber. Er warf die Oberlippe verächtlich auf und würdigte mich keiner Antwort. Gegen den Wirt aber wurde er um so zutraulicher, was so weit ging, daß er ihm versprach, ihn zu den Osterferien, wo wir wiederkommen würden, mit gepaschten Zigarren zu versehen. Als Franzi dies hörte, machte er ein außerordentlich appetitliches Gesicht und fragte:
    „Gepaschte? Hm! So etwas raucht man freilich lieber als diese hier; aber verstehen Sie sich denn auch auf dieses Geschäft?“
    „Na, und ob!“ antwortete Carpio, indem er eine Miene zog, als ob er schon Wagenladungen von Zigarren über die Grenze geschmuggelt hätte. „Wir sind ja diesmal auch nicht so ganz ohne gekommen!“
    „Wie? Was? Wirklich? Wo haben Sie denn abgeladen?“
    „Gleich hinter Eger. Am ersten Abend, nachdem wir über die Pfähle waren.“
    „Bei wem denn?“
    „Geschäftsgeheimnis!“
    „Viel?“
    „Will ich meinen!“
    „Auf welche Art haben Sie denn das fertiggebracht?“
    „Auf eine höchst – – höchst – – –“
    Da der Schmugglerhauptmann Carpio vor Verlegenheit ins Stocken kam, fuhr ich an seiner Stelle fort:
    „Auf eine höchst lederne Art und Weise. Es hängt das mit dem vorübergehenden Domizile seines Passes eng zusammen.“
    „War es bedeutend?“
    „Vier.“
    „Viertausend oder vier Zentner?“
    „Wir paschen nicht nach dem Tausend und auch nicht nach dem Zentner, sondern nach der Qualität, und die war ausgezeichnet, so ungefähr wie ungarisches Weizenmehl Nummer Null. Wenn es uns auf unserer Osterreise in derselben Weise wieder glückt, werden Sie große Augen machen. Mehr kann ich jetzt nicht sagen!“
    Der jetzige Gesprächsgegenstand hätte auch ohnedies nicht weitergeführt werden können, weil wir unterbrochen wurden. Die fremde Frau kam wieder zu uns. Sie brachte ihren Knaben mit und sagte, da ihr Vater nun eingeschlafen sei, würde es sie glücklich machen, hier im warmen Zimmer noch ein Weilchen bei uns sitzen zu dürfen. Es wurde ihr natürlich gern erlaubt. Franzi gab ihr noch ein Glas Wein und beschloß, um den Knaben zu erfreuen, die gegen seine Frau geplante Kriegslist schon jetzt gleich in Ausführung zu bringen. Er holte neue Lichter, welche aufgesteckt und angezündet wurden. Dann saß die Frau, ihr Kind zärtlich an sich gedrückt, im Glanze des Weihnachtsbaumes mit wehmütigem Lächeln da, ohne an unserem Gespräch teilzunehmen.
    Carpio war infolge des ungewohnten Weines außerordentlich mitteilsam geworden; er erzählte seinen ganzen Lebenslauf oder vielmehr alles nach seiner Ansicht merkwürdige, was sich auf demselben zugetragen hatte. Diese Merkwürdigkeiten bestanden meist darin, daß ihm durch die unbegreifliche Zerstreutheit anderer Leute die mannigfaltigsten Drangsale bereitet worden waren; besonders spielten seine Schwestern dabei eine große, für ihn verhängnisvolle Rolle, und wenn seine Erlebnisse wirklich so geschehen waren, wie er sie berichtete, so hatte er seine ganze Zeit und alle seine Geisteskräfte nur dazu anzuwenden gehabt, die Gedankenlosigkeit dieser jungen Damen für sich unschädlich zu machen.
    Als er dann auch auf unsere innige Freundschaft zu sprechen kam, hatte er die freundliche Gewogenheit, meine jungen Vorzüge mit einigen gütigen Streiflichtern zu berühren. Er erwähnte dabei, daß ich auch ein nur mit Sappho zu vergleichender Dichter sei, und

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