06 - Weihnacht
Ruhe lassest, so lange ich mir einen Schinken von da oben herunter und werfe ihn dir an den Kopf!“
„Tue das, lieber Sappho! Ich hänge ihn gewiß nicht unangeschnitten wieder hinauf, denn ich habe Hunger, riesigen Hunger. Er ist gekommen wie ein gewappneter Mann und geht wie ein brüllender Löwe in meinem Bette um!“
„Ach, wenn du brüllende Löwen im Bette hast, so bin ich ja gerettet!“
„Gerettet? Wie meinst du das?“
„Da hast du es mit diesen Bestien zu tun, daß du dich wohl nicht mehr mit mir beschäftigen wirst.“
„Na, wenn dich ihr Gebrüll nicht aufweckt, so magst du ruhig schlafen. Ich werde dich nicht mehr molestieren!“
Er hielt Wort: ich schlief ein, wurde aber nach ungefähr einer halben Stunde wieder aufgeweckt, denn ich hörte ihn ängstlich rufen:
„Sappho, Sappho, wach auf! Wach auf, und nimm mich herunter! Schnell, schnell!“
Die Stimme kam nicht von seinem Bette, sondern aus einer andern Gegend her; es klang wie von oben herab.
„Wo bist du denn?“ fragte ich.
„Ich hänge hier oben!“
„Wo denn?“
„An der Wurst. Mach nur Licht! Solange kann ich mich schon noch halten. Der Stuhl ist umgestürzt.“
Er hing an einer Wurst! Ich sagte lachend:
„Aber, Mensch, wenn man das Leben auch noch so überdrüssig hat, braucht man sich doch nicht grad an eine Wurst zu hängen!“
„Mach keine dummen Witze, sondern beeile dich, sonst reißt die Schnur; obgleich sie vierfach ist!“
„Was?“ fragte ich. „Die Wurst hängt gar an einer vierfachen Schnur?“
„Die Wurst nicht, sondern ich!“
„Ist sie noch oben?“
„Ja, beide sind wird noch da! Hilf mir herunter!“
Jetzt brannte das Licht, und ich konnte die Situation überblicken. Er hing wirklich an einer Wurst, oder vielmehr nicht an, sondern neben derselben. Unter ihm lag das ausgebreitete Deckbette und auf diesem der umgefallene Stuhl.
Es muß bemerkt werden, daß das Zimmer höher als gewöhnliche Bauernstuben war und daß die meisten der eingeschraubten Haken die Stärke von Lampenhaken hatten. An einem dieser starken Haken hing die dicke Magenwurst, auf welche Carpio es abgesehen gehabt hatte; er trug zu gleicher Zeit die vierfach zusammengelegte Schnur, welche Carpio in beiden Händen hielt, während er das andere Ende sich unter der Achselhöhle durchgezogen hatte. Er hing an ihr höher, als der umgefallene Stuhl gewesen war, was ich zunächst nicht begreifen konnte. Er war übrigens kein schlechter Turner, sonst hätte er es nicht so lange, bis ich ihm zu Hilfe kam, aushalten können.
Ich nahm Kniebeuge und ließ ihn auf meiner Schulter Halt fassen, von wo er dann auf das Bett heruntersprang. Die mit herabgezogene Schnur in den Händen, warf er einen bedauernden Blick nach oben und sagte in wehmütigem Tone:
„Sie war die größte und verlockendste von allen; nun stehe ich wieder hier unten, und sie, sie hängt noch oben!“
„Dieb! Wurstspitzbube! Schinkenräuber! Ich habe dich gewarnt. Du konntest Hals und Beine brechen!“ fuhr ich ihn sehr ernst an, obgleich ich, wie ich zu meiner Schande gestehe, innerlich lachen mußte.
„Was geht es mich an, ob mein Hals und meine Beine ganz bleiben oder nicht, da ich die traurige Gewißheit habe, daß ich diese Nacht nicht überleben werde!“
„So groß ist dein Hunger?“
„Schauderhaft! Du hast mir grad das Bett geraubt, worüber der Himmel das Aussehen einer vollgestopften Räucherkammer hatte, während über dem meinigen alles leer ist. Auf dein Bett konnte ich nicht treten, weil dich das aufgeweckt hätte; darum suchte ich mir da vorn, ehe du das Licht auslöschtest, diejenige Wurst aus, welche in Beziehung auf ihre Größe und Wohlgestalt meinem heimlichen Zwecke zu entsprechen schien. Um jedes, auch das leiseste Geräusch zu dämpfen, legte ich meine Zudecke unter, auf welche ich den Stuhl stellte. Aber das reichte, wie ich bald bemerkte, leider nicht aus, denn ich durfte die Wurst nicht abschneiden, sondern ich mußte zu ihr empor und aus dem Haken heben. Eine Unterlage auf den Stuhl konnte ich im Dunkel nicht finden, und so – – –“
„Hättest du doch ein paar Käsekuchen von dort untergelegt!“ fiel ich ihm in die Rede.
„Schweig, gefühlloser Mongolenhäuptling!“ antwortete er. „Durch diesen hochverräterischen Vorschlag, den ich mir übrigens merken werde, verrätst du, daß du von tungusischen oder ostjakischen Urahnen abstammst! Also – – ich konnte nicht hoch genug steigen; darum nahm ich mir vor, mich
Weitere Kostenlose Bücher