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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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hoch genug zu ziehen. Du weißt doch, daß ich stets eine Anzahl Reiseschnüre bei mir führe?“
    „Reiseschnüre! Dieser Ausdruck ist gut, sehr gut!“
    „Wieso? Spottest du?“
    „Nein. Ich denke dabei an ungarische, russische und andere Pferdediebe, welche auf ihren Reisen Halfter mitzunehmen pflegten, in denen dann, ehe man die Hand umdreht, fremde Pferde zu stecken pflegen. Also wie war es mit deinen Reiseschnüren, die eigentlich heimliche oder verkappte Wurstschnüre zu sein scheinen?“
    „Ich legte sie, damit sie mich halten könnten, vierfach zusammen, band mir das Ende unter der Achsel fest, weil man da am wenigsten empfindlich ist, wie z.B. das Turnen an den Schwingen beweist. Dann stieg ich wieder auf den Stuhl und warf die vierfache Schnur so in die Höhe, daß sie sich in den Haken fing.“
    „Ein Kunststück ohne Licht!“
    „Es gelang freilich nur nach wiederholtem Versuche. Ich hing also an der Achsel, und die Schnüre liefen oben über den Haken. Indem ich sie um die eine Hand wickelte und mit der anderen weiter und höher griff, konnte ich mich emporziehen und dann die Wurst aus den Haken heben. Ich zog und zog; es ging, denn ich half unten dadurch nach, daß ich den Fuß auf die Querleiste der Stuhllehne setzte. Dabei aber stieß ich den Stuhl um; die Nachhilfe fehlte nun, und ich kam nicht weiter; ich mußte dich um Hilfe rufen.“
    „Das war nicht notwendig.“
    „O doch!“
    „Nein. Du brauchtest doch nur die Schnur fahren zu lassen und herunterzuspringen!“
    „Kann man eine fest um die Hand gewickelte Schnur, an welcher man hängt, so leicht fahren lassen? Übrigens konnte ich nicht sehen, wo der Stuhl lag; ich konnte mir, auf ihn fallend, Schaden tun. Nein, ich mußte dich rufen. Schau meine Hand! Sieh diese blauen Streifen! Wärst du nicht gleich erwacht, so hätte die Schnur das Fleisch bis auf den Knochen durchschnitten!“
    Er hatte recht: ich zog es aber vor, ihm ohne Bedauern zu sagen:
    „Das hast du verdient! Ein Pferdedieb wird in Amerika am Halse, ein Wurstdieb in Böhmen aber an der Achsel und den Händen aufgehängt! Und, Mensch, sag, wie hast du dir das eigentlich gedacht? Der Wirt oder seine Frau hätten morgen früh doch gleich mit dem ersten Blicke gesehen, daß grad ihre schönste Wurst den Weg aller Würste – – –“
    „Nichts hätten sie gesehen, gar nichts!“ fiel er schnell ein.
    „Du wolltest ein Stück abschneiden?“
    „Nein.“
    „Sie ganz aufessen?“
    „Nein, obgleich mein Hunger so groß ist, daß ich mich anheischig mache, zwei oder auch drei solcher Magenwürste verschwinden zu lassen.“
    „Nicht abschneiden, aber auch nicht ganz verzehren? Ein drittes ist doch gar nicht möglich!“
    „Für ein so harmloses und wohlgenährtes Wickelkind, wie du bist, freilich nicht. Aber der hungrige Löwe, welcher vorhin in meinem Bett brüllte, macht erfinderisch. Ich hatte mir das ganz schön ausgedacht. Sieh die Wurst an! Sie ist nach allen Seiten mit einer Schnur umwickelt, jedenfalls deshalb, daß sie beim Kochen im Wurstkessel nicht zerplatzen sollte. Meinst du nicht auch?“
    „Meinetwegen! Ich halte dieses Problem nicht für hoch und würdig genug, in einer so wichtigen Stunde, wie die jetzige ist, meine Gedanken zu beschäftigen. Lassen wir die Schnur also drumgewickelt! Übrigens sind wir jetzt in Österreich, da heißt es nicht Schnur, sondern Spagat.“
    „Schön, also Spagat! Ich wollte diesen Spagat vorsichtig heruntermachen und dann einen Triangel in die Wursthaut schneiden, vorsichtig, unendlich vorsichtig natürlich. Diese Hautdreiecke hätte ich geöffnet und dann aus dem Innern der Wurst soviel herausgeholt, wie nötig war, den Löwen zu füttern, der meinen Magen jetzt als Raubtierkäfig benutzt. Wenn er dann satt war, wollte ich – – – hm!“
    „Was wolltest du? Heraus damit!“
    „Lieber Mongole, du siehst doch ein, daß die Wursthaut wieder gefüllt werden mußte?“
    „Natürlich mußte sie das! Aber womit? Ich bin neugierig, was du dazu nehmen wolltest.“
    „Ja, diese Frage war freilich schlimmer als die orientalische. Dir durfte ich mich nicht anvertrauen; etwas Eßbares, was ich erreichen konnte, gab es nicht, als nur die Kuchen dort. Hätte ich ein Stück abgeschnitten und in die Wurst gestopft, so wäre die Lücke bemerkt worden. Nicht?“
    „Ja. Die Kuchen sind leider alle ganz; es ist keiner von ihnen angeschnitten.“
    „Das ist ja die Sache, die mir Schmerzen macht!“ sagte er grimmig; dann fügte

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