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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Verbrechens und dann auch Euer Zimmer untersuchen.“
    „Well! Ich habe versprochen, Euch diese Untersuchung zu gestatten, und halte Wort; dann aber werde ich mir das Vergnügen machen, Euch einmal zu zeigen, wie man es anzufangen hat, Schuld von Unschuld zu unterscheiden und einen Gentleman nicht als Lump, sondern als Gentleman zu behandeln. Vielleicht kleben nachher zwei und nicht bloß einer an der Decke!“
    „Hört, Mann, das ist genug gesagt, um Euch die Handschellen anlegen zu lassen! Wir haben sie mit, und wenn – – –“
    Er hielt inne und blickte nach dem Fenster, durch welches lautes Pferdestampfen hereinklang. Man sah zwei indianisch aufgeschirrte, prächtige Hengste und einen Indianer, welcher sich, um hereinzuschauen, aus dem Sattel herabbückte, so daß sein lang niederfallendes, dunkles Haar beinahe die Erde berührte. Der Wirt ging rasch hin, und wir hörten die sonore Stimme des Indsman fragen:
    „Dies ist ein Hotel? Wohnt mein Bruder Old Shatterhand hier?“
    „Old Shatterhand?“ fragte der Wirt erstaunt. „Soll er hier in Weston sein?“
    „Ja. Er ist gestern hier eingetroffen, und weil dies das beste Haus für Fremde ist, vermute ich, daß er hier wohnt. Ich bin Winnetou, der Häuptling der Apatschen.“
    „Winnetou, Winnetou, Winnetou!“ erklang es aus jedem Munde, und alle eilten nach dem Fenster hin. Ich aber war im nächsten Augenblicke draußen bei ihm.
    „Winnetou, mein Bruder, sei gegrüßt!“
    „Scharlih, mein Bruder, gib mir deine Hand!“
    Sein dunkles Auge strahlte lächelnd auf meinen neuen Anzug nieder, indem er weiter sprach:
    „Mein Freund Scharlih wird diese Kleidung der Bleichgesichter ablegen und sein Leder wieder anlegen müssen, doch heut bleiben wir noch hier. Gefällt es dir in diesem Hause?“
    „Das Haus ist gut, und seine Bewohner sind es auch; aber soeben befindet sich drin die Polizei, weil Nuggets gestohlen worden sind und ein Bleichgesicht mich beschuldigt hat, der Dieb zu sein.“
    „Uff! Old Shatterhand ein Dieb! Dieses Bleichgesicht hat dich doch sofort um Verzeihung gebeten?“
    Man konnte jedes Wort, welches wir sprachen, drin hören; darum zog ich den einen Augenwinkel in Falten, ein Zeichen, welches Winnetou sofort verstand, und antwortete:
    „Nein; er behauptet trotz all meiner Versicherungen noch jetzt, daß ich der Dieb sei, und der Sheriff glaubt es ihm und hat mir soeben gedroht, Eisen um meine Hände legen zu lassen.“
    „Uff, uff, uff! Eisen um Old Shatterhands Hände? Mein Bruder gehe voran; ich folge gleich!“
    Das Zusammenziehen des Augenwinkels war zwischen uns die Andeutung, eine Sache, über welche wir innerlich lachten, äußerlich mit Ernst und Wichtigkeit zu behandeln. Ein heiteres Lächeln ging schnell wie ein Blitz über sein Gesicht, um sich in den Ausdruck drohenden Zornes zu verwandeln. Ich verstand sein ‚ich folge gleich‘ und kehrte in die Stube zurück, indem ich die Haus- und auch die Zimmertür weit offen ließ.
    Die Anwesenden waren von den Fenstern weggetreten. Sie wußten nun, wer ich war, und sahen mich mit ganz andern Augen an als vorher. Wie staunten sie aber, als sie das Stampfen der Hufe vom Flur her hörten und dann Winnetou zu Pferde vor der Tür erschien! Er bückte sich, um hereinzukommen, hielt den Rappen an, blitzte mit seinen hellen, wunderbaren Augensternen eine Person nach der andern an und fragte dann:
    „Welches von diesen Bleichgesichtern ist der Sheriff?“
    „Ich bin es“, antwortete der Genannte in einem Tone, als ob er in Demut vor einem gekrönten Regenten stehe.
    „Du bist es, du, also du!“ erklang es wie Mitleid aus dem Munde des herrlichsten Indianers. „Du, du wagst es, Old Shatterhand, meinen berühmten Bruder, vor dem alle Scharen der roten und der weißen Krieger zittern und der lieber alles, was er besitzt, verschenkt, als daß er einen fremden Grashalm nimmt, einen Dieb zu nennen? Pshaw!“
    Es lag in diesem ‚Pshaw!‘ der Ausdruck einer so tief herniedersteigenden Herablassung, eines so hoheitsvollen Erbarmens, daß der, an den es gerichtet war, keine Antwort fand und unwillkürlich einige Schritte zurückwich, als ob er mit dieser nun sehr heikel gewordenen Angelegenheit jetzt lieber gar nichts mehr zu tun haben wolle. Einem jeden, der Winnetou nicht gekannt hat, muß dieser Eindruck seiner Persönlichkeit, wenn auch nicht unerklärlich sein, so doch als höchst ungewöhnlich vorkommen, aber der berühmte Häuptling der Apatschen war auch weit mehr als bloß ein

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