06 - Weihnacht
er. „Bin sehr neugierig darauf; also zeigt es einmal!“
Ich packte ihn sofort an der Brust und am Oberschenkel, hob ihn hoch empor, trug ihn nach dem offenen Fenster und sagte:
„Hier hinaus würde ich Euch werfen, Sir! Da Ihr mir aber die Arretur bis jetzt noch nicht angekündigt habt, so werde ich Euch einstweilen wieder dahin setzen, wo ich Euch weggenommen habe. So, da steht Ihr wieder!“
Ich hatte ihn wieder zurückgetragen und vor meinen Tisch gestellt. Er hatte vor Überraschung oder Schreck kein Glied bewegt; jetzt aber wurde er um so lebendiger.
„Hört, Ihr habt Euch am Sheriff vergriffen!“ donnerte er mich an. „Wißt Ihr, was das heißt?“
„Vergriffen? Daß ich nicht wüßte! Ihr habt mich aufgefordert, und ich bin dieser Aufforderung gefolgt; dazu habe ich hier Zeugen!“
„Mann, ich werde doch noch anders mit Euch reden, als Ihr jetzt zu ahnen scheint! Wenn ich Euch arretieren will, so stelle ich mich nicht so mundrecht zum Anfassen her, sondern dazu ist der Konstabler da!“
„Pshaw! Der würde auch zum Fenster hinausfliegen!“
„Ja, riesenstark scheint Ihr zu sein, und gewalttätig dazu. Ich kann Euch leider nicht bestrafen lassen, weil ich Euch allerdings nichts ahnend aufgefordert habe; aber es gibt Handschellen und Stricke, verstanden!“
„Die flögen Euch und dem Konstabler nach, und zwar könnte mich kein Mensch dafür bestrafen. Es scheint fast, daß ich die Gesetze des Staates Missouri besser kenne als Ihr, der Beamte dieses Staates. Es darf nämlich hier ohne ganz speziellen richterlichen Befehl keine Verhaftung vorgenommen werden. Wißt Ihr das? Wo habt Ihr diesen Befehl? Und wenn Ihr ihn hättet, so bin ich ein Ausländer. Ihr müßtet Euch erst an den Circuit court oder gar noch höher wenden!“
„Alle Teufel! Das ist ja eine ganze, polizeiliche Belehrung, die Ihr mir da haltet!“ rief er aus, sich Mühe gebend, seine Verlegenheit zu verbergen. „Also höflich und freundlich soll ich mit Euch sein? Well, wollen es versuchen! Habt Ihr die Nuggets gestohlen, Mr. Meier?“
„No!“
„Nicht? Also werden wir einmal in Eurem Zimmer nachsuchen!“
„Das dulde ich nicht!“
„Nicht? Ah!“
„Nein, denn nach den Gesetzen des Staates Missouri bedarf es zu einer Haussuchung auch eines ganz speziellen richterlichen Befehles.“
„Ich bin erstaunt! Ihr, der Ausländer, scheint unsere Gesetze ja förmlich bis auf das Tüpfelchen auf dem i studiert zu haben!“
„Das muß man auch, wie es scheint!“
„Nun, ich verstehe mich ebenso darauf wie Ihr. Ich brauche zu einer Haussuchung hier keinen Befehl, weil der Wirt mir die Einwilligung dazu nicht vorenthalten wird.“
„Den Wirt geht mein Zimmer gar nichts an! Nach den Gesetzen des Staates Missouri ist jeder in einem Hotel wohnende Gast der vollberechtigte Besitzer des Zimmers, welches er bewohnt und bezahlt. Es würde also nicht seiner, sondern meiner Erlaubnis bedürfen.“
Der Sheriff kannte diese Gesetze selbstverständlich auch; nur hatte er geglaubt, daß es einem Fremden gegenüber nicht notwendig sei, sich nach ihnen zu richten. Keine Haussuchung – keine Arretierung – und doch war ich beschuldigt? Dazu die Art und Weise meines Auftretens! Er schluckte seine Verlegenheit hinunter und sagte:
„Übertreibt es nicht, Sir, und macht mir mein Amt nicht schwer! Es ist auch für Euch besser, wenn Ihr Euch den Umständen fügt!“
„Das weiß ich; aber ich bin nur unschuldig verdächtigt, weiter nichts, und muß es mir verbitten, in der Weise angeäugt und mit Ausdrücken angerempelt zu werden, als ob schon hundert Schuldbeweise gegen mich vorlägen. Ihr seid belogen worden, Sir. Ich bin nicht der einzige, zu dem der Bestohlene von seinen Nuggets gesprochen hat. Fragt nur den Wirt und den Oberkellner!“
Diese beiden gaben sofort zu, daß er auch ihnen seine ganze Fundgeschichte förmlich aufgezwungen und den Kasten mit den Nuggets sogar gezeigt habe.
„Und fragt den dort auch!“ fügte ich hinzu, indem ich nach der Tür zeigte, zu welcher der Prayer-man soeben hereinkam.
Dieser wußte noch nicht, daß der Diebstahl schon entdeckt worden und der Sheriff schon gekommen war. Watter sprang auf, nahm ihn schützend bei der Hand und sagte zu dem Beamten:
„Dieser Gentleman ist ein sehr guter Freund von mir, der allerdings auch alles weiß, der aber meine Nuggets eher bis auf den Tod für mich verteidigen als sie mir stehlen würde. Ich stehe für ihn ein.“
„Well! Hat er auch hier
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