Ruf der Dunkelheit
Kapitel 1: Tamara - Dämonen
Es war nicht schön, ihn so zu sehen. Nein, das war untertrieben – es war grauenvoll, ihn so zu sehen. Es fraß mich innerlich auf, denn ich litt ununterbrochen mit ihm. Doch niemand wusste, was für ein Kampf in mir tobte, denn nach außen hin, gab ich mich völlig ruhig. Wie lange das noch gut gehen würde, wusste ich nicht.
„Ist schon okay! Wir haben doch grad erst wieder begonnen, es zu versuchen.“ Ich strich Julian beruhigend über den Rücken, während er sich mit den Händen am Boden abstützte und keuchte.
Es fraß ihn fast auf, dass er seine Gier nach menschlichem Blut einfach nicht in den Griff bekam.
Ich erschrak, als er energisch den Kopf schüttelte und mit der Faust so fest auf den Teppich schlug, dass seine Knöchel knackten. „Das sind nur erbärmliche Ausreden! Wie oft habe ich es jetzt schon versucht?! Es muss klappen – andernfalls…wird es kein gutes Ende nehmen!“
Ich atmete geräuschvoll ein, ehe ich zögernd weitersprach. „Wieso quälst du dich nur so?“ Er knirschte mit den Zähnen. „Niemand ist dir böse, wenn du dich auf dieselbe Weise ernährst, wie ich. Du musst mir jeden Tag dabei zusehen, das kann doch nicht funktionieren“, spielte ich darauf an, dass ich täglich ein bis zwei Blutbeutel trank, während Julian verbissen versuchte, seinen Körper wieder an den Genuss von Tierblut zu gewöhnen.
Seit dem Vorfall vor zwei Jahren, als er in Rage einen Mann auf offener Straße ausgesaugt hatte, war er nicht mehr der Selbe. Zumindest was das Trinken von Blut betraf. Es war jedes Mal dasselbe Drama. Er hungerte tagelang, bis sein Durst so übermächtig wurde, dass er irgendwann nicht mehr anders konnte, als sich an meinem Vorrat an Blutkonserven zu vergreifen. Wenn er dann einmal im Blutrausch war, konnte ihn nichts mehr stoppen. Zwar ernährte er sich parallel auch von tierischem Blut, doch davon erfuhr er mittlerweile weder ein Sättigungsgefühl, noch die Befriedigung, die ihm menschliches Blut gab.
Ich war ihm nicht böse deswegen. Durch meine Verwandlung war es mir ohnehin nur noch möglich, mich von menschlichem Blut zu ernähren. Doch ich bevorzugte es, dafür niemanden verletzen zu müssen. Julians größte Sorge jedoch war, dass er diesen schmalen Grat wieder überschreiten und zu töten beginnen würde. Doch ich war mir sicher, dass es nicht soweit kommen musste. Allerdings benahm er sich was das betraf sehr stur. Zu groß war seine Furcht, wieder zu dem Monster zu werden, das er einmal gewesen war.
„Lass uns für heute aufhören – hier.“ Ich hielt ihm einen Beutel voll Blut hin und konnte hören, wie sein Herzschlag beschleunigte. Er war hungrig – sehr hungrig. Speichel füllte seinen Mund, tropfte von seinen ausgetretenen Fangzähnen und seine Gesichtzüge verhärteten sich. Er rang sehr mit sich, doch nachdem er nun schon seit vier Tagen nichts mehr zu sich genommen hatte, übernahm sein Innerster Trieb zur Selbsterhaltung die Kontrolle. Blitzschnell schloss sich seine Hand um die Blutkonserve. Mit der anderen Hand riss er den Verschluss auf und warf ihn achtlos auf den Boden. Sekunden später wurde die Stille von einem genussvollen Seufzen erfüllt.
So konnte das einfach nicht weitergehen! Wenn er den Kampf mit seinen inneren Dämonen endlich beenden wollte, musste er sich einfach darauf einlassen, dass ich ihm dabei helfen konnte, seine Gier in den Griff zu bekommen.
Außerdem fühlte ich mich mitverantwortlich, für seinen momentanen Zustand. Hätte er mich nicht aus Damians Fängen retten müssen, wäre er nicht lebensgefährlich verletzt worden. Zwar hatte mein Blut ihn geheilt, aber seitdem hatte er sich verändert. Seine Instinkte wurden intensiviert und auch seine Sinne und Fähigkeiten hatten sich verstärkt, doch für ihn schien das eher Fluch statt Segen zu sein, denn dadurch war auch sein Verlangen nach menschlichem Blut zurückgekehrt.
Ich strich ihm liebevoll über das Haar, als er zusammensank und seinen Kopf auf meinen Schoß legte. Der Blutbeutel glitt aus seiner Hand. Er hatte ihn bis zum letzten Tropfen geleert. Seine Nasenflügel bebten und sein ganzer Körper vibrierte, während das Blut sich in seinem Organismus ausbreitete und den brennenden Schmerz in seinen Adern wenigstens für kurze Zeit lähmte. Mittlerweile war mir klar, warum Damian die Bestie geworden war, die er bis zu seinem Tod verkörpert hatte. Ich trug nun sein Blut in mir und damit musste ich auch die Schmerzen des
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