0603 - Die Pestklaue von Wien
Ihnen überhaupt Bescheid gegeben habe. Wahrscheinlich können Sie sich heute abend wieder ins Flugzeug setzen und nach London zurückkehren.«
»Das will ich nicht sagen. Zwei Tage Wien wären immer drin.« Ich wandte mich wieder an meinen Freund. »Du sagst, du hast die Hand befühlt? Wie? Bist du gewachsen?«
Suko schüttelte grinsend den Kopf. »Wenn du es nicht weitersagst, erzähle ich es dir. Ich habe mir einen Sarg so zurechtgerückt, daß ich auf ihn steigen konnte.«
»Gute Idee.«
»Du willst sie auch befühlen? Laß dir gesagt sein, dabei kommt nichts heraus.«
»Mal sehen.« Mit einem Schritt hatte ich den Sarg erreicht und kletterte auf ihn.
Der Kommissar fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Er baute sich am Ausgang auf, um mich nötigenfalls warnen zu können, wenn jemand erschien.
Es blieb noch ruhig. Ich hatte meine rechte Hand in den Hemdausschnitt gleiten lassen, um mein Kreuz hervorzuholen. Wenn etwas Dämonisches in diesem Verlies lauerte, würde das Kreuz reagieren, davon war ich überzeugt.
Meine Hand zuckte zurück, kaum daß ich es angefaßt hatte. Wärme strahlte in meine Fingerspitzen, ließ sie zittern, und ich stand unbeweglich auf dem Fleck.
Das merkte Suko, der sich dicht neben dem Sarg aufhielt. »Hast du was gespürt?«
»Das Kreuz reagiert.«
»Oh.«
Von der Tür meldete sich der Kommissar. »Was hat das denn zu bedeuten?«
»Ganz einfach«, erklärte mein Freund. »Wenn sich eine dämonische Kraft in der Nähe aufhält, sendet das Kreuz meines Freundes bestimmte Signale aus.«
»Auch hier?«
»Ja.«
Kommissar Walter wischte über seine Wange, schaute zurück. Wir sahen ihm an, daß ihm überhaupt nicht wohl in seiner Haut war.
»Beeilen Sie sich, die nächste Gruppe wird bald hier hereinschneien.«
»Immer mit der Ruhe«, murmelte ich. Das Kreuz hing noch vor meiner Brust, weil ich mir erst die Hand genauer anschauen wollte.
Mit dem Rücken berührte sie die Decke. Allerdings mehr mit den Knöcheln, weil die Finger nach unten hin abgeknickt waren.
Da ich diesen dämonischen Zauber gespürt hatte, konnte er nur von der Klaue ausgehen.
Äußerlich war ihr nichts anzusehen. Auch als ich nachfühlte, spürte ich allein den kalten Stein.
Aus dem Gang vermehrten sich die Stimmen. Wir alle hörten sie lauter, ein Murmeln, das nicht aufhören wollte, und dazwischen hörten wir das Scharren der Füße.
Ich starrte gegen die Hand, während ich mein Kreuz hervorholte.
Kaum lag es frei, geschahen zwei Dinge.
Einmal huschte ein silbriges Flimmern über meinen Talisman, zum anderen hörte ich über mir ein leichtes Knirschen, schaute genauer hin und erkannte, daß sich die verfluchte Steinhand tatsächlich bewegte. Sie zitterte an den Fingern. Staub rieselte mir entgegen, und ich dachte an die Besucher und auch an die Aussagen der Zeugin, die sich vor der Klaue gefürchtet hatte.
»Halten Sie die Besucher zurück!« schrie ich dem Kommissar zu, der nicht wußte, was er machen sollte. Sein Blick irrte zwischen mir und dem Gang hin und her.
»Machen Sie schon!«
Suko reagierte schneller. Er lief auf Walter zu, packte ihn und drückte ihn aus dem Raum, hinein in den Gang, wo er heftig auf ihn einsprach. Ich hoffte, daß der Kommissar Vernunft zeigte. Wenn nicht, sah es böse für die Besucher aus.
Die beiden waren verschwunden. Ich konnte mich wieder um die Steinklaue kümmern und brachte diesmal mein Kreuz so dicht heran, daß ich sie fast berührte.
Dabei rechnete ich damit, daß sie zerbröseln würde, doch die Reaktion war eine völlig andere.
Ich hörte so etwas wie einen Schrei oder einen Zischlaut. Gleichzeitig knirschte es, Putz und Staub rieselten auf mich nieder. Ich mußte den Kopf wegdrehen, damit mir das Zeug nicht in die Augen geriet. Ich bekam zudem Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht auf dem schmalen Sargrand. Etwas schlug gegen meinen Kopf, hart genug, um mich taumeln zu lassen. Ich sprang vom Sarg, duckte mich, lief zur Seite und schaute gegen die Decke.
Das Unmögliche war geschehen.
Dort oben hing keine Hand mehr, dafür jagte sie tornadoartig über die Särge hinweg…
***
Ich hechtete zurück. Wenn die mich erwischte, konnte sie mich zerschlagen.
Mit dem Rücken prallte ich gegen ein Nischengitter, wo auch die Urnen standen, dann duckte ich mich zusammen, ging fast auf Tauchstation und verfolgte die rasende Hand, die das Verlies unheimlich schnell durchmaß. Beide Hände hatte ich belegt, denn in der Rechten hielt ich jetzt die Beretta.
Weitere Kostenlose Bücher