0603 - Die Pestklaue von Wien
Vielleicht reichte eine Kugel.
Die Hand war zu schnell, ich fand kein Ziel und mußte mich mehr auf den Zufall verlassen.
Das wiederum wollte ich nicht.
Plötzlich hatte sie die Richtung gefunden. Meine Augen weiteten sich, denn sie fand genau ihren Weg dort, wo ich sie eigentlich nicht hätte hinhaben wollen.
Die Klaue raste in den Gang!
Und dort drängten sich die Besucher, denn ihre Stimmen vernahm ich auch jetzt noch.
Mein Magen verkrampfte sich. Wenn die Hand tatsächlich in die Gruppe hineinraste, gab es Verletzte, wenn nicht Tote. Ich brüllte den Namen meines Freundes, um ihn und die anderen vor der Gefahr zu warnen, während ich selbst auf den Eingang zulief, um die Klaue ebenfalls verfolgen zu können.
Da war es passiert. Die Schreie brandeten mir entgegen. Ich hörte auch Sukos Stimme und die des Kommissars, rannte weiter in das schwache Licht hinein und sah weiter vor mir, daß sich zahlreiche Besucher zu Boden geworfen hatten.
Andere standen mit schreckensbleichen Gesichtern rücklings an beiden Wänden. Sie sahen aus, als hätten sie nichts begriffen. Ein Mann taumelte mir entgegen. Er blutete an der Wange und am Hals.
Es war Kommissar Walter.
»Sind Sie okay?«
»Es geht schon.« Er schüttelte den Kopf. »Verdammt, verdammt, was war das nur?«
Ich hatte es eilig und wollte keine Fragen beantworten. »Wo ist die Hand hin?«
Suko gab mir die Antwort. Er winkte. »Komm mit!«
Den Weg der Klaue konnten wir akustisch verfolgen, denn auch weiterhin hörten wir die Schreie. Ich dachte daran, daß es nicht der erste Fall war, bei dem eine Hand eine Rolle spielte. Vor Jahren hatten wir es mit der Bluthand aus Aibon zu tun bekommen, aber diese hier wurde sicherlich von einem anderen Motiv geleitet.
Den Kommissar ließen wir stehen. Auch Suko rannte, nur holte ich ihn nicht mehr ein, sein Vorsprung war zu groß. Zudem hatte auch er den Ehrgeiz, die Hand zu stoppen.
Gesichter huschten vorbei. Angststarre Menschen standen in den Räumen. Sie wirkten zwischen den dunklen Särgen so bleich wie die Gerippe in den Nischen, die wir passierten und keinen Blick durch die Abtrenngitter warfen.
Was sonst eine Stunde und länger als Besichtigungstour dauerte, legten wir in wenigen Minuten zurück. Die Schreie wurden lauter.
Ein schmaler Gang schluckte uns. Er führte direkt zum Ausgang.
Viele von ihnen hatten hochgewollt, geordnet hintereinander, denn es gab nicht viel Raum.
Aber auch die Steinklaue hatte sich diesen Weg ausgesucht und Panik verbreitet.
Sie kamen uns entgegen, rollten wie eine Woge heran, als wäre sie von einem Sturmwind gepackt worden, der die Meute kurzerhand zurückdrückte.
Wir sahen die Klaue oberhalb der schmalen Stufen. Dieser Ausgang war behelfsmäßig eingerichtet worden, denn in den Katakomben wurde renoviert.
Ein Mädchen lief mir weinend entgegen. Es blutete im Gesicht. An der rechten Wange zeigte sich ein langer Riß. Auf ihrem Rücken schaukelte ein Rucksack.
Ich ließ die Beretta sinken. Die ich wieder gezogen hatte. Es hatte keinen Sinn zu feuern. Die Hand war einfach zu schnell gewesen.
Nach Suko stieg ich die schmale Treppe hoch und gelangte an einer Seitenstelle des Platzes ins Freie, wo ich mich umschaute und rasch die Beretta wegsteckte, weil ich keine Unschuldigen damit erschrecken wollte.
Ich hörte Suko fluchen. Die Worte übertönten selbst den Stimmenwirrwarr der hier stehenden Menschen.
»Das war sie«, sagte ich. »Verdammt noch mal, das war diese Hand!«
»Richtig. Und du hast sie geweckt!«
»War das ein Vorwurf?«
»Nein, eine Feststellung, mehr nicht.« Er hob die Schultern. »Wegen ihr sind wir ja hier.«
»Hast du vorher was gesehen? Du warst ja eher unten als ich?«
Der Inspektor schüttelte den Kopf. »Nichts, John, überhaupt nichts. Das ist ja der Wahnsinn. Ich habe gegrinst, als ich unter ihr stand und sie mir anschaute. Ich habe mir gesagt, dieses Mannequin spinnt, dreht durch, hat Halluzinationen, aber jetzt…?« Er hob die Schultern. »Nun bist du an der Reihe, großer Meister.«
»Das Kreuz hat die Hand geweckt. Sie ist vor ihm geflüchtet, Suko. Sie hat gespürt, daß ihr mit dem Kreuz eine Kraft gegenüberstand, gegen die sie nicht ankam.«
»Stimmt. Aber du hast eines vergessen: Die Zeugin erklärte, daß sie so groß wie eine Tür gewesen ist. Das war hier nicht der Fall. Sie hat ihre normale Größe behalten.«
»Sonst wäre sie nicht durch den Gang gekommen.« Ich schaute zurück. Aus der schmalen Tür quollen die
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