0603 - Die Pestklaue von Wien
ließ darauf schließen. »Dann werde ich vergessen, daß es verwandtschaftliche Verbindungen zwischen uns gibt.«
Sie nickte. »Wie… sie bei Romina?«
»Ja, du wirst sterben müssen.«
Ihre Haut am Nacken zog sich zusammen. Sterben müssen? echote es in ihrem Gehirn. Er will mich umbringen, wenn ich ihm nicht gehorchte. Meine Güte, wo bleiben denn die Männer aus London?
Sie hockte in einer unbequemen Lage und spürte, daß sich ihre Sehnen und Muskeln stark gestrafft hatten. Isabel mußte ihre Chance nutzen, solange die Hand noch keine gefährliche Größe erreicht hatte. Wenn sie jetzt floh, kam sie vielleicht weg.
Sie schnellte hoch.
In diesem Augenblick griff die Hand zu. Innerhalb einer Sekunde hatte sie sich verändert. Sie war förmlich zu dieser unnatürlichen Größe hochgeschossen, und Isabel blieb selbst der Schrei im Hals stecken, als die Klaue zupackte.
Eine Hand rahmte sie von zwei Seiten her ein. Etwas wischte über ihren Mund; sie vernahm auch Schreie, aber das waren nicht die ihren, sondern die der Zeugen. Die hatten das Fürchterliche ebenfalls mitbekommen. Vor der Hotelfassade stand die riesige Pestklaue und hielt mit ihren steinernen Fingern das Opfer umklammert.
Ein Mann lief hin. Es war der Portier, der den Gästen die Türen der Fahrzeuge öffnete.
Seinen Mut bezahlte er schwer, denn der kleine Finger erwischte ihn und schleuderte ihn wie eine lästige Fliege zur Seite. Vor dem Hoteleingang landete er auf dem Boden, wo er sich noch überschlug und dann regungslos liegenblieb.
»Ich habe dich!« hörte Isabel die Stimme ihres Ahnherrn. »Jetzt steht einer Befreiung nichts mehr im Weg.«
Sie konnte nicht sprechen, allerdings hatte sich die Klaue so gedreht, daß Isabel in Richtung Kärntner Straße schauen mußte. Und dort erschien mit raschen Schritten einer der beiden Engländer.
Es war Suko!
***
Wie sein Freund John Sinclair, so kannte auch Suko das ungute Gefühl, eventuell zu spät zu kommen, das Wissen, es nicht mehr schaffen zu können, wenn die andere Seite, schneller, grausamer und effektiver war.
Er hatte erlebt, wie brutal die Hand vorgehen konnte, daß sie auf keinen Rücksicht nahm, um die eigenen Ziele zu verfolgen, über die Suko noch nicht genau informiert war. Er konnte nur hoffen, daß es ihm oder John irgendwann gelingen würde, die Pestklaue von Wien zu stoppen.
Tagsüber ist die Kärntner Straße immer voll. Suko hatte es eilig. Er huschte durch die Lücken, die sich im Strom der Spaziergänger vor ihm auf taten, gab sich sehr stromlinienförmig und kam gerade noch über eine Querstraße hinweg, bevor die Ampel umschlug.
Für die Auslagen der teuren Geschäfte hatte er keinen Blick, und die Gesichter der Passanten huschten vorbei wie blasse, mit schnellen Pinselstrichen gezeichnete Schemen.
Mit zwei Schritten wischte er um die Ecke, sah die Fassade des Hotels bereits und kam sich vor, als würde in seiner unmittelbaren Nähe ein Film gedreht.
Dort bewegte sich nichts, der Schrecken hatte die meisten Menschen erstarren lassen.
Und starr war auch die gewaltige Klaue vor der Hotelfassade. Sie hielt ein Opfer umklammert, eine dunkelhaarige junge Frau, deren Gesicht in Sukos Richtung zeigte.
Dem Inspektor blieb beinahe das Herz stehen. Stiche in der Brust, der Druck im Magen, all das waren Reaktionen auf sein Entsetzen, das in ihm hochstieg.
Er hatte seinen Lauf gestoppt, um die Szene erkennen zu können.
Zugleich mußte er sich eine Lösung einfallen lassen, wie es ihm gelingen würde, die Frau aus der Klaue zu befreien.
Ihr Gesicht erkannte er wie in Großaufnahme. Es war kaum wiederzuerkennen. Die aparten Züge hatten sich verschoben. Die Grimasse ließ ihre Haut zu langen Falten erstarren, und der Mund stand halboffen, ohne daß ein Schrei über die Lippen gedrungen wäre. Wahrscheinlich konnte sie nicht einmal schreien, weil ihr der Druck den Brustkorb zusammendrückte.
In diesen wenigen Sekunden mußte sich Suko entscheiden, denn auch die Pestklaue würde nicht länger stehenbleiben. Suko wußte, daß Hercule de Dijon einen Teil seines Planes erreicht hatte.
Deshalb mußte er etwas tun.
Der Inspektor startete. Er jagte los wie ein Sprinter. Daß er dabei zwei Frauen zur Seite stieß störte ihn nicht. Gleichzeitig schob er die rechte Hand unter das Jackett, nicht um die Beretta hervorzuholen, eine andere Waffe war wichtiger.
Der Stab!
Buddha hatte ihn magisch geweiht und ihn mit seinem Gedankengut versehen. Suko konnte ihn für seine Zwecke
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