0603 - Die Pestklaue von Wien
Kärntner Straße geschehen war, und Isabel de Dijon, die noch immer an der Bar saß, ihren zweiten stark gepfefferten Tomatensaft trank, verlor sämtliche Farbe, als sie davon erfuhr. Sie erkundigte sich bei dem Keeper, der ebenfalls aufgeregt war.
»Ja, Madame, es ist eine Hand gewesen. Sie mußte von zahlreichen Zeugen gesehen worden sein. Aber das brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen, nicht wahr?«
»Nein, das brauchen Sie wirklich nicht.« Sie leerte ihr Glas, überlegte, ob sie noch einen dritten Saft bestellen sollte und entschied sich dagegen.
Es war besser, wenn sie jetzt nichts mehr trank und zunächst ihren eigenen Gedanken nachging.
Die Hand wollte sie, das war klar, aber was hatte sie zudem noch in der Malteser-Kirche zu suchen?
Sosehr sie auch grübelte, es fiel ihr keine Antwort ein. Sie wußte von beiden nichts. Nicht von den Templern und auch nichts von den Maltesern. Damit hatte sie sich nie zuvor beschäftigt und auch nichts in der Schule gelernt.
»Schreiben Sie die Getränke bitte auf die Rechnung«, bat sie den Keeper, legte einen Schein auf die Bar und verließ mit müden Schritten den Raum.
In der Halle blieb sie unschlüssig stehen, schaute zum Eingang hin und überlegte, ob sie auf die Straße gehen und nachschauen sollte.
Andererseits hatte sie versprochen, im Hotel zu bleiben, weil die beiden Engländer sie abholen oder bei ihr bleiben wollten.
In ihr Zimmer jedenfalls traute sich Isabel nicht zurück. Da war es schon besser, wenn sie draußen wartete und vor dem Eingang blieb.
Dort würde sie ebenfalls sehen können, wenn die beiden Beamten kamen und sie abholten.
Auch an der Rezeption standen Gäste, die über den Vorfall diskutierten. Sie ging vorbei und hörte gar nicht hin. Auch wollte sie lästigen Fragen ausweichen.
Obwohl der Nachmittag schon fortgeschritten und die Sonne tiefer gesunken war, war es kaum kühler geworden in den breiten Straßenschluchten, die von mächtigen, historischen Häuserfronten gesäumt wurden. Hier in Wien atmete jeder Meter Boden Geschichte.
Das Mannequin wollte sich nicht zu weit vom Hotel entfernen und schrak plötzlich zusammen, als sich zwei Hände von hinten auf ihre Schultern legten.
»Wer bin ich?« Der Mann sprach mit tiefer Stimme. Sie hatte ihn trotzdem erkannt.
»Laß doch die Scherze, Claude. Ich habe wirklich keinen Bock, mich noch mehr zu erschrecken.«
»Nun sei aber mal nett.« Der dunkelhaarige Claude Ribeau lächelte sie an. Er trug einen dünnen schwarzen Anzug aus Seide, der ebenso glänzte wie sein halblanges Haar. Sein weißes Hemd sah aus, als käme es frisch aus der Maschine.
»Ich habe dich gesucht, Isabel.«
»Und weshalb?«
Claude lachte. »Weil die ganze Truppe eingeladen worden ist. Ab jetzt im Sacher.«
»Weshalb?«
Sie verdrehte die Augen. »Claude, bitte, sei ein lieber Kerl und akzeptiere mein Nein.«
»Immer noch Ärger?«
»Weiß nicht, kann aber sein.«
»Na ja«, er verzog die Lippen. »Dann will ich es den anderen mal mitteilen. Wir jedenfalls machen einen drauf. Allerdings nicht zu lange. Vor Mitternacht sind wir wieder im Hotel.«
»Viel Spaß und schöne Grüße.«
»Mach’ ich – tschau.« Er tänzelte davon. Wenn es etwas zu feiern gab, war Claude immer dabei.
Isabel blieb vor dem Hotel stehen und schaute auf ihre Uhr. Es war zwar keine Zeit abgemacht worden, allmählich aber wurde sie ungeduldig. Die Männer hätten ruhig zurückkommen können, denn sie spürte mit einemmal das Frösteln auf ihrem Rücken.
Das Gefühl kannte sie. So hatte es auch angefangen, bevor ihr die Hand zum erstenmal begegnet war. Mit diesem kalten Frösteln und dem gleichzeitigen Wissen, daß möglicherweise etwas passierte.
Auch der innere Druck ließ sich nicht mehr verleugnen. Er umschloß ihre Brust, er krampfte ihr Herz zusammen, und sie wischte fahrig mit der Hand über die Stirn, wo der kalte Schweiß lag.
Lauerte die Klaue schon?
Isabel schaute den Gehsteig entlang, ohne etwas erkennen zu können. Auch auf der Straße tat sich nichts. Dort floß der Verkehr normal ab. Hin und wieder öffnete einer der Portiers einem Gast die Wagentür und kassierte Trinkgelder.
Bis zur Einmündung der Kärntner Straße in den Obernring waren es nur wenige Schritte, die Isabel in kurzer Zeit zurücklegte.
Keiner der beiden Engländer war zu sehen.
Mit einem unguten Gefühl in der Brust ging sie wieder zurück und wartete vor dem Hotel.
Zeit verging.
Ein Mann sprach sie an und erkundigte sich lächelnd nach
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