0603 - Die Pestklaue von Wien
einer bestimmten Straße.
Isabel de Dijon schüttelte den Kopf und hob gleichzeitig die Schultern. »Ich bin fremd, tut mir leid.«
Der Mann ging, drehte sich noch einmal und grinste frech.
Isabel schaute zur Seite. Wahrscheinlich war die Frage nur der Beginn einer Anmache gewesen.
Ein Frösteln überlief sie. Gleichzeitig sah sie, wie sich die kleinen Härchen an den Handgelenken aufrichteten.
Eine Warnung? Wenn ja, wovor?
Es kam nur die Hand in Frage, aber die wiederum entdeckte sie nicht in ihrer Nähe.
Sie blieb trotzdem vorsichtig und hörte auf ihr inneres Gefühl. Da war etwas, zwar nicht sichtbar, aber es existierte und hielt sie unter Kontrolle.
Noch fielen Sonnenstrahlen schräg gegen die Fahrbahn, blendeten oder blitzten reflexartig durch das Grün der Bäume, die ebenfalls noch vorhanden waren und sich auch von den Abgasen nicht hatten unterkriegen lassen.
Ein wunderschöner Sommertag, der zu Ende ging. Da konnten die Menschen Luft holen, sich erholen, und doch fühlte sich Isabel fremd.
Einsam inmitten der Passanten, der Touristen, die mit ihren halb ausgebreiteten Stadtplänen umhermarschierten. Sie schauten sich um, verglichen, redeten, freuten sich über die Sonne, und zweimal wurde Isabel angestoßen.
Plötzlich fühlte sie sich schutzlos so mitten auf dem breiten Gehsteig. Da war es schon besser, wenn sie den Schutz der altehrwürdigen Hotelfassade aufsuchte. Sie lag bereits im Schatten, und dort wollte sie auf die Engländer warten.
Isabel de Dijon hatte ihre Sonnenbrille im Zimmer gelassen. Sie schaute zu Boden und blickte erst wieder hoch, als der Schatten der Fassade sie umschlang.
Da sah sie den Gegenstand.
Er stand dicht an der Mauer, berührte ihn beinahe noch und wirkte so, als hätte ihn jemand abgestellt. Isabels Herz klopfte zum Zerspringen, sie drückte ihre Hand gegen die Brust, denn sie starrte genau auf die Hand aus der Gruft.
Diesmal nicht so gewaltig und hoch wie ein Mensch, sondern in der Größe, wie sie in den Katakomben zu sehen war, also normal.
Für einen Moment schloß sie die Augen, weil sie an eine Einbildung glaubte, sah wieder hin und mußte feststellen, daß sich das Bild nicht verändert hatte.
Die Hand blieb stehen!
Was sollte sie tun? Schreien, damit andere Menschen zusammenliefen? Oder fluchtartig weglaufen, sich im Zimmer verstecken und so lange warten, bis die Gefahr vorbei war?
Es gab da verschiedene Möglichkeiten, die ihr durch den Kopf huschten, nur traute sie sich nicht, eine davon in Angriff zu nehmen.
Diese verfluchte Hand übte auf sie einen regelrechten Bann aus, der sie praktisch zwang, stehenzubleiben.
Wie groß war die Hand? Doppelt so groß wie eine normale? Bestimmt, und sie stand so vor ihr, daß Isabel gegen ihre Fläche blicken konnte und sich dort etwas abzeichnete, für das sie zunächst keine Erklärung fand. Es war ein Schatten, nicht nur dunkel, sondern irgendwo auch mehrfarbig, und er besaß den Umriß einer kleinen Figur.
Hinter ihr flutete der Verkehr entlang. Isabel hörte das Rollen der Wagen, unterschiedlich laute Motorengeräusche erreichten sie ebenfalls, dazwischen die Stimmen der Menschen, das alles wurde ihr bewußt, aber es war gleichzeitig eine Sperre entstanden, die sie gegen die Außengeräusche unempfindlich machte.
Sie wollte sie einfach abwehren und sich nur auf die kleine Hand konzentrieren. Isabel empfand es nur als ungewöhnlich, daß ihr die an sich kleine Hand dennoch ein Gefühl einjagte, das mit Furcht zu vergleichen war.
Dann hörte sie die Stimme. Alle anderen Geräusche waren plötzlich zurückgedrängt worden, es zählten allein die Worte, die ihr aus der Hand entgegengesprochen wurden. In diesem Augenblick erkannte sie die ganze Wahrheit.
Da hatte ein Wesen gesprochen, das sich auf der Innenfläche der kleinen Hand abmalte.
Isabel ging in die Knie. Ihre Augen hatte sie weit geöffnet, da mischten sich Staunen und Furcht, und sie erkannte auch, daß sich eine menschliche Gestalt in der Handfläche abzeichnete. Es war ein Mann, ungewöhnlich gekleidet. Isabel, die sich auch mit der Geschichte der Mode befaßt hatte, stellte fest, daß die Kleidung eher ins ausgehende Mittelalter gepaßt hätte.
Wer war das? Isabel dachte nach, nur gelangte sie zu keinem Resultat. Eigentlich hätte sie auf dem Absatz kehrt machen und verschwinden sollen, das wiederum gelang ihr nicht. Dieser sich in die Handfläche abzeichnende Mann übte eine ungewöhnliche Anziehungskraft und Faszination auf sie aus.
Den
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