0605 - Das Gespenst vom Tower
zufrieden gaben, war nicht zu erkennen. Jedenfalls redeten sie miteinander und begannen auch, kleine Gruppen zu bilden, wie ich es vorgeschlagen hatte.
Jemand brachte eine Decke, die er über die Leiche legte. Der Mann stand gekrümmt da, schlug ein Kreuzzeichen und sprach ein kurzes Gebet, bevor er zurück zu den anderen ging.
Conchita kam uns vor wie eine Puppe. Sie starrte in den düsteren Hof, hörte dem Rascheln des Papiers zu, das der Wind über den rauhen Boden trieb, und sagte mit einer uns fremd klingenden Stimme. »Ich muß meine Eltern benachrichtigen. Sie arbeiten, sie müssen es wissen…«
»Wo arbeiten sie?«
»Auf dem Airport die Mutter, in einem Kino der Vater.«
»Heathrow?« fragte Suko.
»Ja.«
»Das ist verdammt weit weg, John. Soll ich hinfahren?«
»Nein, auf keinen Fall. Sag den Kollegen Bescheid, daß sie Mrs. Nunoz in Schutzhaft nehmen sollen.«
»Und mein Vater?« stieß Conchita hervor.
»Wo liegt das Kino?«
»Nur ein paar Ecken weiter. Es hat Tag und Nacht geöffnet. Mein Vater sitzt an der Kasse, er arbeitet nur in der Nacht.«
»Dann werde ich ihn holen«, sagte Suko.
»Schutzhaft ist besser.«
»Okay.«
»Was ist mit mir?« Conchita war plötzlich unsicher geworden.
»Auf mich wird er es auch absehen.«
»Keine Sorge, um Sie kümmere ich mich.«
»Ja, ist gut.«
Suko winkte mir noch zu, bevor er verschwand. Er würde alles in die Wege leiten. Den Namen des Kinos hatte ihm Conchita nachgerufen.
Sie faßte mich an. »Was machen wir denn jetzt, Mr. Sinclair?«
»Auf den Killer warten«, erwiderte ich trocken…
***
Das Foyer war leer und schmutzig. Die großen Filme liefen in anderen Kinos. Was in diesem Filmtheater über vierundzwanzig Stunden lief, waren die Billigstreifen. Meist Filme, die von Sex und purer Gewalt lebten. Vier kleine Theater umfaßte der Komplex. Sie gehörten einem Mexikaner, der immer dann besonders gut verdiente, wenn er Filme aus den lateinamerikanischen Heimatländern der Bewohner spielte, denn die Besucher setzten sich fast nur aus den Einwanderern zusammen.
An der Kasse wechselten sich zwei Leute ab. Jeweils zwölf Stunden hockten sie in der Bude, die im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt war. Von ihr aus führte noch eine Treppe hoch zu dem Vorführraum, wo die automatischen Kameras liefen.
Der Job taugte nicht viel. Zudem wurde er schlecht bezahlt, aber Anchil Nunoz mußte froh sein, ihn überhaupt bekommen zu haben.
Andere würden noch für weniger arbeiten.
Dumpf starrte er durch die Glasscheibe, gegen die hin und wieder Finger schmierten. Manchmal fragte er sich, weshalb die Streifen überhaupt durchliefen. Nur in den frühen Morgenstunden war für eine halbe Stunde Pause, damit die Räume gereinigt werden konnten.
Ein Pärchen kam noch. So wie die aussahen, suchten sie einen Platz für die nächsten beiden Stunden, wo sie ungestört waren. Den Film würden sie kaum mitbekommen. Sie entschieden sich für einen Softporno und verschwanden hinter der Tür ins Dunkel.
Anchil Nunoz gähnte. Er trug sein schwarzes Haar glatt nach hinten gekämmt. An seinem Ringfinger glänzte eine Platte aus nachgemachtem Gold. Er spürte Hunger und Durst. Sein Essen hatte er bereits vertilgt, und die nächsten Stunden würden verdammt lang werden.
Die beiden Zeitungen wollte er noch lesen, aber sich zuvor die Beine vertreten. Er verließ das Haus und wanderte im Foyer auf und ab. Dabei war er zu faul, das Papier aufzuheben und es in einen Abfallkorb zu stecken.
Plötzlich aber ging ein Ruck durch seinen Körper. Hinter der Tür hatte er den Umriß eines Mannes gesehen. Er wollte es zunächst nicht glauben und wurde etwas blaß, aber er hatte sich nicht getäuscht.
Jesus di Mendez Saragon kam!
Und wie er in das Foyer stolzierte. Ein weißer Anzug, dunkle Schuhe, herausgeputzt wie ein Dandy und nach Parfüm duftend.
Das Rüschenhemd war weit aufgeknöpft, der schmale Oberlippenbart und die in die Stirn fallende schwarze Locke gaben ihm etwas Verwegenes.
»Na, Anchil? Nicht viel los?«
Nunoz verbeugte sich vor dem Kinobesitzer. »Es geht. Aber besser als in den heißen Tagen.«
»Das will ich auch meinen.« Er starrte seinen Mitarbeiter an. »Du siehst müde aus, Arnigo.«
»Das täuscht.«
»Lüg nicht. Ich kann es verstehen, ich bin auch müde. Ist Geld in der Kasse?«
»Ja.«
»Gut, dann kannst du für eine halbe Stunde gehen und einen Kaffee trinken. Ich übernehme deinen Job.«
»Gracias, Senor, gracias.«
»Ach – hau schon
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