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0609 - Operation Sternstunde

Titel: 0609 - Operation Sternstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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und trank das Glas gehorsam aus.
    „Tartuffe!" schrie er, zog eine leicht derangierte Freifahrerin zu sich heran und schob sie auf mich zu. „Schau ihn dir genau an, Helene!" sagte er. „Das ist der berühmte Tartuffe." Er lachte brüllend und schlug sich mit den großen Händen auf die Oberschenkel.
    Die Dame blickte mich herausfordernd an, kniff mich in den Arm und meinte: „Willkommen. Sie dürfen mir die Hand küssen."
    Ich grinste innerlich, verdrehte gekonnt die Augen und deklamierte einen Text aus dem Dritten Aufzug, Zweiter Auftritt: „Deckt diesen Hals und diese Schultern zu, die ich nicht ansehen kann; denn solche Schau bringt unsere Seele in Gefahr und weckt strafwürdige Gedanken."
    In Helenes Augen spiegelte sich grenzenlose Verblüffung.
    Sie beugte sich zu mir herab und musterte mich. wie man ein seltenes Tier mustern würde.
    „Comment, sil vous plan?" stammelte sie verwirrt.
    „Redet doch etwas verschämter, darum bitt ich Euch", erwiderte ich. „Sonst muß ich augenblicklich mich entfernen."
    Helene fuhr hoch, wie von der Tarantel gestochen.
    „Jerzick!" rief sie schrill in reinstem Interkosmo. „Dieser runzelige Zwerg hat mich beleidigt. Ich erwarte, daß du meine Ehre verteidigst."
    Der Schwarzbart verschluckte sich an einem großen Schluck Apfelschnaps. ließ sein Glas fallen und kam mit tränenden Augen auf mich zu. Ich ahnte, was er vorhatte, deshalb setzte ich mich ab. Während ich auf die nächste Tür zulief, erhaschte ich einen kurzen Blick auf den Tibeter. Dalaimoc Rorvic lehnte an einem Weinfaß und versuchte sich der Damen zu erwehren, die ihn unaufhörlich mit Wein und Sekt traktierten. Seine Augen waren bereits glasig.
    Er würde an diesem Tag kaum zu Roi Danton vordringen.
    Auf allerlei Umwegen erreichte ich schließlich den Thronsaal.
    Ich hatte mich entschlossen, Rhodans Sohn allein zur Räson zu bringen. Doch als ich ihn dann in seinem feierlichen Krönungsornat auf dem baldachinüberspannten Thron sitzen sah, die goldene Krone auf der langen Lockenperücke, mit herabgezogenen Mundwinkeln seine Höflinge musternd, da hatte ich das Gefühl. immer mehr zusammenzuschrumpfen.
    Dieser Mann spielte nicht nur die Rolle des Sonnenkönigs, er war der Sonnenkönig!
    Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Wie sollte ich jemanden zur Räson bringen, der sich so weit von der Wirklichkeit entfernt hatte wie Roi Danton?
    Ich tauchte vorerst im Gewimmel der Höflinge unter und lauschte ihren in einwandfreiem Französisch geführten Plaudereien.
    Zuerst war ich nur verwirrt über die archaisch anmutenden Gesprächsthemen dieser allesamt gutgebauten Frauen und Männer, aber allmählich ging mir auf, daß sie der gleichen Wirklichkeitsverfremdung unterworfen waren wie ihr König.
    Sie hielten sich für Höflinge von Ludwig XIV.- jedenfalls, solange sie sich im Audienzsaal befanden.
    Es war direkt gespenstisch, ihre Gebärden zu sehen und ihre Unterhaltungen zu verfolgen. Und über allem thronte die alles beherrschende Gestalt des Sonnenkönigs, umgeben von einer fast unheimlich starken Aura von Autorität, ganz der absolutistische Herrscher, der den Satz gesagt hatte: „Der Staat bin ich!" Was für ein ungeheuerlicher Frevel lag in solchen Worten!
    Plötzlich erschauderte ich.
    Ich merkte, daß meine Gedanken in einen Teufelskreis geraten waren, in den Teufelskreis der Wirklichkeitsverfremdung. Nur unter größter Willensanspannung gelang es mir, mich auf mich selbst und meine Aufgabe zu besinnen, mir klar zu machen, daß ich kein Kind des siebzehnten, sondern des fünfunddreißigsten Jahrhunderts war.
    Hatte die Psychodeformation mich ebenfalls befallen?
    Oder war es nur die gespenstische Szenerie, die meinen Geist in die Vergangenheit zwang?
    Ich wandte mich zum Gehen, wollte dieser den Verstand lähmenden Umgebung entfliehen, draußen im Freien die klare Luft atmen, frischen Sauerstoff in mein Gehirn pumpen.
    Doch ich kam nicht weit, denn im Haupteingang erschien Jean-Baptiste Moliére alias Dalaimoc Rorvic.
    Rorvics ehedem prachtvolle Perücke saß schief und war zerzaust, der dünne Schnurrbart, der zu seiner Rolle gehörte, vom Wein tintenblau verfärbt, das sonst leichenblasse Gesicht vom Alkohol gerötet.
    Der Tibeter bewegte sich schwankend vorwärts und stieß die Menschen, die ihm im Wege standen, mit der Masse seines Körpers einfach zur Seite. Er beachtete nicht die scharfen Proteste, die ihm zugezischt wurden, sondern wankte zielstrebig auf den Thron des Sonnenkönigs

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