061 - Medusas steinerne Mörder
kerzengerade in die Höhe stieg, als wäre unter
ihrem Sitz ein Raketentreibsatz gezündet worden. Da war es endgültig aus mit
der Fassung der Anwesenden. Alles lief und schrie durcheinander. Eiskalt fegte
der Wind durch den Raum. Die Kerze war längst erloschen. Es war stockfinster.
Elektrisches Licht flammte nicht auf. Es funktionierte nicht! Alles, was normal
war, ließ sich in diesen Sekunden nicht in Gang setzen. »Vorhänge auf!« rief
eine sich überschlagende Stimme.
Larry
Brent, der zu Boden stürzte, spürte einen Stoß gegen seinen Kopf. Aber diesen
Schmerz beachtete er nicht. Schlimmer war die Ektoplasma-Masse, die ihre
ursprüngliche Form aufgegeben hatte und zu einem taudicken Strang wurde, der
sich wie ein selbständiges Lebewesen um den Hals des Mannes schlang. X-RAY-3
wälzte sich am Boden und versuchte, seine Finger unter den würgenden Strang zu
schieben. Aber der saß zu fest und schnürte sich noch enger, so daß er keinen
Millimeter darunter kam. Die Luft wurde ihm knapp. Er konnte nicht mal röcheln.
Das Blut rauschte in seinen Ohren und vor seinen Augen begannen farbige Kreise
zu tanzen.
Plötzlich
flammte das Licht auf. Die elektrische Versorgung funktionierte wieder. Dennoch
konnte er kaum etwas sehen, denn der unheimliche Strang aus dem Jenseits wand
sich auch um seinen Kopf und deckte Mund und Augen ab. X-RAY-3 registrierte mit
erlöschenden Sinnen, daß ihm mehrere Personen gleichzeitig zu Hilfe kamen. Sie
rissen und zerrten an dem Ektoplasma-Strang, der ihn würgte. Sie gingen mit
scharfen Gegenständen vor, Messern und Scheren…
Doch
dieser Einsatz bewirkte nichts. Die helle, wolkige Substanz erwies sich als
widerstandsfähig und zäh. Larry Brents Körper streckte sich, und es wurde
schwarz vor seinen Augen. Er fiel in unendliche Dunkelheit…
●
In
dem kleinen Turmzimmer hielten sich zwei Menschen auf: Ein Mann, graumeliertes
Haar, dunkler Schnurrbart, auffallend energisches Kinn, und eine Frau, die
seine Tochter hätte sein können. Sie war schwarzhaarig, schlank und hatte eine
makellos reine, fast weiße Haut. Ihre großen dunklen Augen lagen tief in den
Höhlen und waren schwarz umschattet. Sie war höchstens fünfundzwanzig während
der großgewachsene Mann leicht doppelt so alt sein konnte.
Das
enge Turmzimmer war wie eine Bibliothek eingerichtet. Die Bücherschränke waren
hoch und schmal, und in den einzelnen Regalen drängten sich die Bände. Die
Bibliothek bestand zum Großteil aus schweren, lederbezogenen Folianten, denen
man ihr nicht unbeträchtliches Alter ansah. Der Mann wirkte einen Moment
angespannt, wandte leicht den Kopf und lauschte Richtung Tür. »Hat dich auch
niemand gesehen?« fragte er dann mit verhaltener Stimme.
Sie
lachte. »So einfach wie in den letzten Tagen war es noch nie«, sagte die
Dunkelhaarige, und es klang leicht amüsiert. »Seitdem der Besuch im Haus ist,
hat sie ständig Beschäftigung. Frau Gräfin genießt den Wein, plaudert über
vergangene Zeiten, und läßt uns hier oben ungestört arbeiten…«
»Was
man so unter Arbeit versteht«, meinte der große Mann mit den graumelierten Schläfen,
schloß die hübsche Begleiterin in seine Arme und bedeckte ihren Mund mit
Küssen. »Ich bin verrückt nach dir«, hauchte er ihr ins Ohr. »Ich weiß nicht,
wie lange wir dieses Spiel noch treiben können. Niemals hätte ich geglaubt, daß
mir das jemals passieren könnte.« Er zog sie an sich, und sie erwiderte heiß
und leidenschaftlich seine Küsse. »Ich bin ein alter Narr«, sagte er dann. »Ich
hätte niemals den Kopf so verlieren dürfen.«
»Wir
haben ihn beide verloren. Du darfst nicht vergessen, Paul, daß ich dich
wirklich liebe.« Paul von Bernicz war Österreicher und stammte aus Graz, hielt
sich aber seit dem dreißigsten Lebensjahr nicht mehr in seinem Heimatland auf.
Der Wirtschaftsfachmann, der als zweiten Beruf die Völkerkunde gewählt hatte
und fast nur noch dieser Betätigung nachging, streifte seit rund zwanzig Jahren
speziell durch die Balkanländer. Er kannte wie kein Zweiter die Geschichte
Jugoslawiens, der Tschechoslowakei und vor allem, Rumäniens. Das düstere,
schroffe Land der Karpaten hatte ihn seither auf unerklärliche Weise angezogen,
und er fühlte sich dort wie zu Hause. Nach einem langjährigen Aufenthalt in
Bukarest, wo er seine spätere Frau – Luise –
kennenlernte und heiratete, entschloß er sich, das Land Transsylvanien zu
bereisen, in den winzigen, weltabgeschiedenen Orten zu leben, das
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