0618 - Der Mondschein-Mörder
Paar vergessen! Madame Imelda war wichtiger. Zu ihrer Wohnung fuhr er mit dem Lift hoch…
***
Imelda Miller hockte auf dem Boden wie ein Häufchen Elend. In manchen Augenblicken zweifelte sie an ihrem Verstand oder hatte sogar geglaubt, ihn zu verlieren, denn was ihr in den letzten Minuten geboten worden war, das konnte sie einfach nicht begreifen. Mit dem normalen Menschenverstand jedenfalls war es nicht zu fassen, selbst für sie als Astrologin nicht, die gewisse Tatsachen aus einem anderen Blickwinkel als die Mehrzahl der Menschen sah.
Mit diesem verfluchten Buch hatte alles begonnen. Sie haßte es, und sie spürte diesen Haß wie eine Flamme hochkochen. Wenn eben möglich, wollte sie das Buch zerstören, verbrennen, zerstückeln, zerschneiden…
Wirre Gedanken jagten durch ihr Hirn. Auch körperlich fühlte sich die Frau unwohl. Heiße und kalte Schauer wechselten auf ihrem Rücken ab, an der Stirn brannte die Wunde. Dort hatte die gläserne Klinge des Mondschein-Mörders sie noch gestreift.
Für Stunden wollte sie nicht vor dem Fenster hockenbleiben. Zudem fiel ihr die Stille innerhalb der Wohnung auf. Die drei Personen hatten sie verlassen, aber Madame Imelda wußte genau, daß sie nicht durch die Tür hinausgegangen waren.
Wie waren sie dann verschwunden? Fenster standen ebenfalls nicht offen. Es mußte der dritte Weg gewesen sein, den sie kaum nachvollziehen konnte, obwohl sie seine Öffnung erlebt hatte, als sie in der Badewanne saß.
Der Spiegel!
Diesmal rann es kalt ihren Rücken hinab, als sie an die einzelnen Flächen im Bad dachte. Der Spiegel war ein Tor, das Dimensionen miteinander verband. Da gab es Menschen und Wesen, die es als Zugang in andere Welten benutzten.
Auch John Sinclair!
Sie hatte viel Vertrauen in den Mann gesetzt und gehofft, daß er den Mondschein-Mörder stellen konnte.
Es war ihm nicht gelungen. Wahrscheinlich hatte der Killer noch die Oberhand behalten. Sinclairs Reise in die andere Welt würde zu einer Reise ohne Wiederkehr werden.
Imelda Miller dachte weiter. Wenn all das tatsächlich eingetroffen war, dann konnte sie nicht in der Wohnung bleiben, denn der Mondschein-Mörder würde zurückkehren und sie töten.
Am enttäuschendsten für sie war zudem, daß ihre eigene Sekretärin, der sie sehr vertraut hatte, zu dem Killer übergelaufen war. Damit wurde sie nicht fertig.
Madame Imelda stand schwerfällig auf. Der Boden schwankte, sie stützte sich an einem Stuhl ab und überlegte, ob sie einfach wegrennen und auch Sir James informieren sollte.
Das hob sie sich für später auf, denn zunächst interessierte sie der Fluchtweg. Obgleich sie sich fürchtete, wollte sie noch einen Blick in das Bad werfen.
In der eigenen Wohnung kam sie sich fremd vor, als sie das Schlafzimmer durchquerte. Die Wunde an ihrer Stirn schmerzte. Da pochte das Blut, aber es quoll nicht mehr hervor. Das Gesicht war erhitzt, auf ihrem Rücken aber lag eine Eisschicht.
An dem zerwühlten Bett ging sie vorbei. Der weiche Teppich war verschoben und über die Türschwelle gerutscht, so daß er halb im Badezimmer lag.
Madame Imelda traute sich kaum, einen Blick in den Raum zu werfen. Die Angst saß wie ein Stachel, der sich immer tiefer in ihren Körper hineinfraß.
Dann schaute sie gegen die Spiegel. Im Normalfall hätte sie sich sehen müssen. Jetzt ahnte sie ihre Umrisse mehr, als daß sie welche sah, denn die Spiegelflächen zeigten eine Veränderung. Sie waren grau geworden.
Nichts Blankes mehr, nur dieser fade, graue Streifen. Das Badezimmer wirkte deshalb düster wie eine Höhle.
»Sie sind weg«, flüsterte Imelda Miller, »sie sind tatsächlich verschwunden. Der Spiegel hat sie verschluckt – o Gott!« Die Astrologin stand bewegungslos im Raum. Zum erstenmal jedoch spürte sie jenen Hauch von Magie, der über ihren Rücken streifte. Sie hatte das Gefühl, von den Kräften einer anderen Welt gestreift zu werden, in der sich die Zeiten mischten.
Dieser Raum gehörte nicht mehr zu ihr. Er war ihr so fremd geworden, anders.
Weg, sie wollte weg!
Auf der Stelle kehrte sie um, kopfschüttelnd durchquerte sie ihr Schlafzimmer, blieb inmitten des dort herrschenden Chaos stehen und sah auch das Buch, mit dem praktisch alles begonnen hatte.
Der Titel fiel ihr ins Auge.
Sie las ihn mehrmals, obwohl sie ihn kannte. Dann bückte sie sich und hob das Buch auf.
Auf einmal überkam sie der Haß. Er war wie eine Welle, die alles überdeckte. Ja, sie haßte das verdammte Buch. Sie wollte nicht
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