062 - John Flack
vorsichtige Nachfrage ergab, daß sie schon am Nachmittag weggegangen war.
Mr. Reeder ging auf sein Zimmer, verschloß die Tür und vertiefte sich in die beiden dicken Bücher mit Zeitungsausschnitten, die er mitgebracht hatte. Das waren die offiziellen Berichte über Flack und seine Bande. ›Bande‹ war vielleicht nicht die richtige Bezeichnung, denn Flack schien seine Gehilfen zu verwenden und zu wechseln wie ein Theaterdirektor die Mitglieder seiner Truppe. Die Polizei kannte ziemlich genau alle die Leute, die John Flack bei der Ausführung seiner gewagten Unternehmungen unterstützt hatten. Einige hatten im Gefängnis gesessen und hatten die Zeit ihrer wiedererlangten Freiheit mit den vergeblichen Bemühungen verbracht, die unterbrochene Verbindung mit einem so großzügigen Zahler wieder anzuknüpfen. Andere, von denen man wußte, daß sie für ihn gearbeitet hatten, waren verschwunden, und man nahm an, daß sie luxuriös im Ausland lebten.
Reeder ging das Buch durch, das die wichtigsten Tatsachen enthielt, und schrieb die Beträge heraus, die dieser in seiner Art einzige Mann im Laufe der letzten zwanzig Jahre erbeutet hatte. Das Gesamtergebnis war verblüffend. Flack hatte fieberhaft gearbeitet, seine Helfer sehr gut bezahlt, aber für sich persönlich wenig ausgegeben. Irgendwo in England mußte eine ungeheure Reserve liegen, und Reeder vermutete, daß das Irgendwo dicht in der Nähe lag.
Für was hatte John Flack gearbeitet? Welchem Zweck sollte die Anhäufung von Geld dienen? War die reine Gier eines Geizhalses der Beweggrund all dieser Räubereien? Arbeitete er ziellos wie ein Wahnsinniger, für irgendeinen phantastischen Zweck?
Flacks Habsucht war sprichwörtlich. Nichts befriedigte ihn. Dem Raub in der Leadenhall-Bank war eine Woche später der Überfall auf das Londoner Trust-Syndikat gefolgt, der, wie die Polizei herausfand, von einer ganz neuen Bande ausgeführt wurde, die erst wenige Tage vor dem Raub zusammengestellt worden war. Und doch waren sie so vollkommen aufeinander eingespielt, daß der Plan ohne jede Störung durchgeführt wurde.
Reeder schloß seine Bücher fort und ging nach unten, um Margaret Belman aufzusuchen. Die Entscheidung war sehr nahe, und es war für seine Seelenruhe notwendig, daß das junge Mädchen Larmes Keep so bald wie möglich verließ. Auf der Treppe traf er Mr. Daver, der nach oben ging, und in diesem Augenblick schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf.
»Sie habe ich gerade gesucht«, sagte er. »Ich möchte Sie um einen großen Gefallen bitten.«
Davers faltiges Gesicht verzog sich zu einem Lächeln.
»Mein lieber Mr. Reeder«, rief er begeistert. »Ihnen einen Gefallen erweisen! Sie haben nur zu befehlen.«
»Ich habe über die letzte Nacht und meine außerordentlichen Erlebnisse nachgedacht«, sagte Mr. Reeder.
»Sie meinen den Einbrecher?« warf der andere schnell ein.
»Über den Einbrecher allerdings«, gab Mr. Reeder zu. »Er hat mich sehr beunruhigt, und ich habe keine Lust, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. Glücklicherweise für mich habe ich einen Fingerabdruck auf der Täfelung meiner Tür gefunden.«
Er sah, wie Daver die Farbe wechselte.
»Wenn ich sagte, ich habe einen Fingerabdruck gefunden, so meine ich damit etwas, was den Anschein eines Fingerabdruckes hat. Sicherheit darüber kann ich nur mit Hilfe eines Daktyloskopes erhalten. Bedauerlicherweise habe ich natürlich nicht annehmen können, daß ich hier ein derartiges Instrument nötig haben würde, und ich möchte gern wissen, ob Sie jemand nach London schicken könnten, um es mir zu holen.«
»Aber mit dem größten Vergnügen«, sagte Daver, obwohl sein Ton hiervon nicht viel verriet. »Einer meiner Leute kann -« »Ich dachte an Miss Belman«, unterbrach ihn J. G. Reeder. »Sie ist eine gute Bekannte von mir und würde dies außerordentlich empfindliche Instrument mit der größten Sorgfalt behandeln.«
Daver schwieg einen Augenblick, während er über diese Worte nachdachte.
»Wäre es nicht besser, wenn ein Mann . . . Und dann der letzte Zug nach der Stadt. . .«
»Sie könnte per Auto fahren. Ich werde das Nötige veranlassen.«
Mr. Reeder rieb nachdenklich sein Kinn.
»Vielleicht wäre es noch besser, wenn ich ein paar Leute vom Yard hierherkommen lassen würde.«
»Nein, nein«, sagte Daver hastig. »Sie können ganz gut Miss Belman schicken. Ich will es ihr gleich sagen.«
Mr. Reeder sah auf seine Uhr.
»Der nächste Zug geht acht Uhr fünfundvierzig und
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