062 - Schiff der verlorenen Seelen
nicht von mir aus. Du mußt mir glauben."
„Du wirst doch wohl nicht abstreiten, daß du mit ihr intim warst?"
„Nein, das streite ich auch nicht ab, Georg." Seine Stimme klang flehend. „Alraune ist neugierig.
Sie ist lernbegierig. Als ich noch in meinem Haus in Panama war, hatte ich eine junge Indianerin als Freundin. Eines Tages sah Alraune in mein Schlafzimmer. Ich merkte es nicht, da ich mit der Indianerin beschäftigt war. Alraune sah zu. Verstehst du? Sie wollte wissen, was ich da tat. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, und erzählte ihr, daß ich mit dem Mädchen gespielt hätte. Sie wollte, daß ich auch mit ihr spiele. Ich weigerte mich. Du mußt mir glauben. Sie war böse, da ich nicht mit ihr spielen wollte. Immer wieder bestürmte sie mich. Ich lehnte es ab. Aber schließlich siegte sie. Hast du nicht die Ausstrahlung bemerkt, die von ihr ausgeht? Sie hat mich verhext. Einfach verhext. Sie braucht mich nur mit ihren grünen Zauberaugen anzusehen, mich zu berühren, und ich bin ihr völlig verfallen und hörig, du mußt mir glauben, Georg."
Ich sah ihn an und glaubte, daß er die Wahrheit sprach. Mein Blick wanderte zu Alraune, die uns verständnislos musterte. Ich konnte Arbues verstehen. Mir war es nicht anders ergangen. Überdeutlich hatte ich die Ausstrahlung gespürt, die meinen Körper gelähmt hatte.
„Ich glaube dir", sagte ich. „Wir müssen ihr zu erklären versuchen, daß es unanständig ist, was sie tut."
„Das kannst du ihr nicht begreiflich machen, Georg. Ich versuchte es. Sie versteht es nicht. Sie weiß nicht einmal, was das Wort unanständig bedeutet. Du kannst sie nicht mit normalen Maßstäben messen."
„Dessen bin ich mir bewußt."
Alraunes Gesicht verzerrte sich. Sie sah aus, als würde sie jeden Augenblick losheulen. Wütend stampfte sie mit dem rechten Fuß auf.
„Ich habe Hunger", sagte sie. „Und ich will spielen."
Arbues seufzte. In der Kajüte wurde es langsam dunkel.
„Sie braucht Nahrung", sagte er. „Nachdem ich kein Lebenselixier mehr habe, bleibt mir nur eine Möglichkeit."
„Das kannst du nicht tun", sagte ich scharf. „Sie ist ein künstliches Geschöpf. Du darfst es nicht zulassen, daß..."
„Du weißt demnach, welche Nahrung sie braucht?"
Ich nickte.
„Menschen", sagte ich.
Er nickte. „Ich kann sie nicht daran hindern."
„Es muß eine Möglichkeit geben. Du mußt sie töten."
„Das kann ich nicht", sagte Arbues. „Und das will ich auch nicht."
„So nimm doch Vernunft an!" schrie ich. „Du kannst sie nicht auf unschuldige Menschen hetzen. Töte sie! Du kannst ja jederzeit wieder eine neue Alraune schaffen."
„Du vergißt nur eines", sagte Arbues, „Alraune hat sicherlich einiges dagegen, daß wir sie töten wollen. Sie verfügt über unheimliche Fähigkeiten. Mit normalen Mitteln ist sie nicht zu töten. Ihr einziger wunder Punkt sind ihre Füße. Aber auch wenn ich sie ihr abschlagen würde, hilft das nichts. Die Füße würden nachwachsen. Ich kann sie nicht töten. Ich hätte es gekonnt, wenn die Narren nicht all meine Tinkturen und Pflanzen über Bord geworfen hätten. Du mußt dich damit abfinden, daß sie kein normaler Mensch ist. Du darfst niemals vergessen, daß sie aus einer Alraunenwurzel entstand."
„Hunger", wimmerte Alraune.
An die Kabinentür wurde geklopft.
„Rasch", flüsterte Arbues. „Alraune, du mußt in die Kiste!"
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
„Nein", sagte sie. „Ich steige nicht hinein. Niemals mehr!"
Das Klopfen wurde lauter.
„Aufmachen!" Es war die Stimme des Ersten Offiziers. „Sofort aufmachen!"
„Hilf mir!" flehte Arbues. „Wir müssen sie in die Truhe sperren."
Er packte Alraune um die Hüften, zog sie an sich und hob sie hoch. Sie wehrte sich verzweifelt und schlug wild mit den Armen um sich.
„Nein!" brüllte sie. „Ich will nicht hinein!"
„Aufmachen!" brüllte der Erste Offizier.
Irgend etwas schlug gegen die Kabinentür.
Ich half Arbues, doch auch ich konnte nicht viel ausrichten. Das Mädchen entwickelte unglaubliche Kräfte. Sie gab Arbues einen Stoß vor die Brust. Er krachte gegen die Wand, schlug sich den Kopf blutig und fiel über eine Truhe.
Wieder krachte etwas gegen die Kabinentür. Es war ein schweres Enterbeil. Ein faustgroßes Loch klaffte in der Tür.
Ich sah das Mädchen an. Allein würde es mir nicht gelingen, sie in die Truhe zu sperren. Ich mußte dem Schicksal seinen Lauf lassen.
Das Mädchen ging an mir vorbei. Vor der Kabinentür blieb
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