062 - Schiff der verlorenen Seelen
Bord gelassen wurde. Arbues ging in seine Kajüte und stopfte einige Gegenstände und seine Aufzeichnungen in eine kleine Truhe. Ich betrat meine Kajüte, öffnete die Seekiste, zog mir frische Kleidung an und steckte das Gold und verschiedene Wertgegenstände in einen Beutel.
„Alles ist bereit", schrie der Kapitän.
„In Ordnung", antwortete Arbues. „In fünf Minuten kommt der Geist hoch und sieht nach, ob alle tatsächlich unter Deck sind."
„Verstanden", schnaubte der Kapitän.
Fünf Minuten später stieg das Mädchen die Treppe hoch. Mir kam es wie eine Ewigkeit vor, bis wir Alraunes Stimme hörten.
„Es ist niemand an Deck zu sehen", rief sie.
„Los!" knurrte Arbues und packte die Truhe.
Er stapfte die Treppe hinauf, und ich folgte ihm. Auf dem Halbdeck blieben wir stehen. Einige Lampen brannten. Es war tatsächlich kein Mensch zu sehen. Ich trat an die Reling. Das Großboot schaukelte neben dem Schiff hin und her.
„Du kletterst als erster ins Boot, Georg", sagte Arbues. „Ich lasse dann meine Kiste zu dir herunter und folge dir. Dann warten wir noch einige Minuten, und schließlich kommt Alraune nach."
Ich nickte.
„Gib mir das Enterbeil!" sagte Arbues.
„Was hast du vor?"
Arbues grinste bösartig; so bösartig hatte ich noch nie einen Menschen grinsen sehen.
„Ich schwor Rache", sagte er leise, „und ich halte meine Schwüre. Dieses Schiff soll auf alle Zeiten verflucht sein. Die Besatzung soll eines entsetzlichen Todes sterben und für alle Zeiten auf den Meeren umherirren."
Er malte seltsame Zeichen auf die Planken des Schiffes. Dabei murmelte er Sprüche in einer unverständlichen Sprache.
„Alraune", sagte er, „ich brauche deine Hilfe. Ohne dich kann ich meine Rache nicht erfüllen."
„Was soll ich tun?" fragte das Mädchen.
„Ich brauche ein Stück deines Körpers. Gibst du es mir? Ein Stück deines Fußes."
Alraune starrte ihre Wurzelbeine an.
„Nimm dir ein Stück", flüsterte sie. „Es wächst ohnedies nach."
Arbues kniete nieder, holte mit dem Enterbeil aus und schlug Alraunes rechten Vorderfuß ab. Das Mädchen stieß einen schrillen Schrei aus und brach zusammen. Ich fing sie auf. Der Fuß schien zu leben. Er hüpfte auf und ab. Arbues griff nach ihm und packte ihn mit der rechten Hand. Dann faßte er in seine Rocktasche und holte ein kleines Fläschchen hervor, in dem eine rote Flüssigkeit Blasen warf. Er öffnete das Fläschchen und ließ die dampfende Flüssigkeit auf den abgeschlagenen Fuß rinnen, der sich zusammenkrampfte, so als würde er Schmerzen erleiden.
Arbues murmelte weiterhin seine geheimnisvollen Beschwörungen. Schließlich stand er auf, trat an den Besanmast und schob den Fuß in eine kleine Öffnung. Zufrieden kehrte er zu uns zurück.
„Ins Boot mit dir!" sagte er aufgekratzt.
Ich kletterte die Strickleiter hinunter und ließ mich ins Boot fallen. Er ließ seine Truhe herunter, dann folgte er mir, setzte sich neben mich, und wir duckten uns.
„Alraune!" rief er.
Das Gesicht des Mädchens erschien über der Reling. Vorsichtig stieg sie die Strickleiter herunter. Kaum hatte sie das Boot betreten, als Arbues das Seil kappte, das uns mit dem Schiff verband. Wir griffen nach den Rudern, und ich setzte ein Segel. Nach wenigen Minuten hatten wir uns mehr als fünfhundert Meter vom Schiff entfernt.
Arbues stand auf.
„Verflucht soll die Torquemada' sein!" brüllte er. „Verflucht soll die Mannschaft sein! Sie soll die Meere befahren bis zum Ende aller Tage!"
Der Himmel bewölkte sich. Blitze zuckten durch die Nacht, und das Dröhnen des Donners hallte schaurig in unseren Ohren.
Die See wurde wilder. Ein starker Wind kam auf, der uns vom Schiff forttrieb.
Wir zogen die Ruder ins Boot und legten uns nieder. Das Boot schaukelte auf und ab. So gut es ging, versuchten wir uns vor dem prasselnden Regen zu schützen. Nach einigen Stunden war das Gewitter vorbei, und die Sonne stieg wie ein feuriger Ball auf. Es war unerträglich heiß. Unsere feuchte Kleidung fing zu dampfen an.
Immer wieder sah ich zu Alraune hin, die kein Wort sprach, einfach nur dasaß und übers Meer starrte.
Ich fühlte mich zu ihr hingezogen, stärker als ich es mir eingestehen wollte. Sie war ein unheimliches Geschöpf, entstanden bei einem wahnwitzigen Experiment, aber sie lebte, und ich begehrte sie wie nie zuvor eine Frau.
Ich schreckte hoch, als Arbues einen grimmigen Fluch ausstieß.
„Diese Schweine!" brüllte er und hob drohend die rechte Faust. „Sie
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