062 - Schiff der verlorenen Seelen
kommt nicht in Frage", wütete der Kapitän. „Ihr werdet bald baumeln. Ich lasse Euch hängen." „Ist das Euer letztes Wort, Kapitän?"
„Ja", sagte er.
Ein Schatten war zu sehen, dann krachte ein Schuß. Die Kugel bohrte sich zwei Handbreit von meinem Kopf entfernt in die Holzverschalung. Ich duckte mich.
„Alraune", sagte Arbues leise, „du steigst jetzt die Stufen hoch und tötest einen Mann. Dann kommst du zurück. Hast du mich verstanden?"
Alraune nickte und stieg langsam die Stufen hoch. Wieder krachte ein Schuß. Unbeirrt ging Alraune weiter.
„Die Mannschaft wird zu winseln anfangen, wenn sie sieht, wie Alraune einen Mann tötet", sagte Arbues. „Sie können sie nicht töten. Das werden sie nur zu bald feststellen. Und Seeleute sind abergläubisch. Sie werden glauben, daß wir einen Geist als Hilfe haben. Das ist unsere Chance."
Ich nickte. „Und was ist mit dem Boot?"
„Wir müssen von Bord", sagte Arbues. „Alraune kann nicht alle Männer töten. Irgendwann würde es ihnen gelingen, die Treppe herunterzukommen, und dann sind wir verloren. Ich bin sicher, daß der Kapitän auf meinen Vorschlag bald eingehen wird. Aber meine Rache bekomme ich trotzdem. Dieses Schiff soll verflucht sein, verflucht für alle Zeiten."
Wieder krachten Schüsse. Lautes Gebrüll war zu hören und das Klirren von Degen und Enterbeilen, Keuchen und Stöhnen. Dann war es einen Augenblick unwirklich still. Ein unmenschlicher Schrei ließ mich zusammenzucken. Ich schloß die Augen. Alraune hatte wahrscheinlich einen Mann getötet. Die Mannschaft brüllte wie verrückt. Wieder krachten Schüsse, dann tapste jemand die Treppe herunter. Alraune kam zu uns.
„Was ist geschehen?" fragte Arbues.
„Oben sind viele Männer", erzählte Alraune. „Unendlich viele. Wo ich auch hinblickte, überall standen Männer. Und alle hatten Waffen in den Händen. Sie versuchten, damit nach mir zu schlagen. Dann war ein lautes Krachen zu hören. Ich sah einen Feuerschein und hatte Angst. So viele Männer! Aber ich überwand meine Furcht und ging auf den am nächsten Stehenden zu, der mir mit einem spitzen Gegenstand in den Bauch stieß. Ich packte ihn und saugte ihm das Leben aus. Dann warf ich ihn zu Boden und stieg die Stufen wieder hinunter."
Die Matrosen schrien weiter.
„Ruhe!" war die Stimme des Kapitäns zu vernehmen. „Haltet endlich den Mund!"
Es dauerte einige Minuten, bis es still war.
„Hört Ihr mich?" fragte Kapitän Eduardo Daron Buda.
„Ja", schrie Arbues und legte seine Hände trichterförmig vor den Mund. „Wir hören Euch. Wie hat Euch unser Geist gefallen, Kapitän? Ich habe ihn gerufen. Er wird uns rächen. Ihr könnt ihn nicht töten. Hat Euch seine Vorstellung amüsiert?"
Die Mannschaft brüllte. Immer wieder hörte ich „Geist" und: „Wir sind alle verflucht. Der Geist wird uns alle töten."
Der Kapitän versuchte sich vergeblich Gehör zu verschaffen.
„Hört mich an!" brüllte Arbues und trat zwei Schritte vor. „Haltet endlich eure verdammten Mäuler! Seid still!"
Nur vereinzelt waren noch Stimmen zu hören.
„Es gibt nur eine Rettung für Euch", schrie Arbues. „Ihr setzt das Großboot aus und tut genügend Nahrungsmittel und Wasser hinein! Dann ziehen sich alle unter Bord zurück! Alle. Kein Mensch darf an Deck zu sehen sein. Ich schicke den Geist hinauf. Er wird jeden töten, der sich blicken läßt. Mein Freund und ich besteigen dann das Boot. Der Geist verläßt das Schiff erst, wenn wir von Bord sind. Habt Ihr mich verstanden? Ihr habt fünf Minuten Zeit, um Euch meinen Vorschlag zu überlegen. Geht Ihr darauf nicht ein, erscheint der Geist an Deck und wird drei Männer töten. Habt Ihr mich verstanden, Kapitän?"
„Ich habe Euch verstanden", zischte der Kapitän wütend.
„Ich wette, daß sie unseren Vorschlag annehmen", sagte Arbues.
„Es bleibt ihnen wohl keine andere Wahl", meinte ich.
Wir schwiegen. Meiner Meinung nach waren die fünf Minuten schon vorbei. Ich hörte noch immer die tuschelnden Stimmen. Sie waren zu keiner Entscheidung gekommen.
„Ich schicke den Geist hoch", schrie Arbues. „Alraune, geh an Bord und töte drei Männer! Hast du... "
„Wir nehmen Euer Ultimatum an", brüllte der Kapitän.
„Bleib hier, Alraune!" sagte Arbues und zog das Mädchen an sich. „Es geschieht also, was ich verlangt habe", rief Arbues dem Kapitän zu. „Sobald alles bereit ist, gebt uns Bescheid!"
„Verstanden", sagte der Kapitän.
Wir hörten, wie das Großboot über
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