0621 - Die Vergessene von Avalon
der einzige Freund, auf den sich das Mädchen verlassen konnte.
Zwischen Sturmwind und Melu war eine gewisse geistige Beziehung entstanden. Sie glaubte manchmal zu wissen, was Sturmwind wollte, und umgekehrt war es ebenso.
Beide kamen wunderbar miteinander aus. In den langen warmen Sommernächten verbrachte Melu die Zeit oft zusammen mit ihrem vierbeinigen Freund im Stall.
Leider konnte auch er ihr nicht sagen, woher sie stammte. Manchmal dachte sie daran, daß sie nicht von dieser Welt war und ihr Ursprung eigentlich mit Avalon zu tun hatte.
Avalon und John Sinclair!
Zwei so unterschiedliche Begriffe, wobei der eine mit dem anderen nichts zu tun hatte, aber, davon ging Melu aus, es mußte einen Zusammenhang zwischen ihnen bestehen.
Noch gab es die Lücke, nur war sie gewillt, diese auszufüllen. Irgendwann würde sie beide kennenlernen das sagte ihr einfach das Gefühl, und darauf verließ sie sich gern.
Melu lauschte dem Klopfen der Hufe. Sie wußte auch, daß sie bald die kleine Bucht erreichen würde, wo sie ihren Ausritt stets beendete. Im Sommer machte sie dort eine Pause, legte sich in den weichen Sand und genoß die Sonne.
Im Winter verweilte sie nur kurz dort, blieb zumeist auf dem Pferderücken sitzen und »schaute« auf das Wasser.
Da passierte es!
Es ging alles so schnell, daß Melu nicht mehr reagieren konnte. Sie hörte noch das erschreckt klingende und schrille Wiehern, hielt die Zügel einfach zu locker, als Sturmwind auf den Hinterläufen in die Höhe stieg, Melu aufschrie, die Zügel verlor und über die rechte Kruppe des Tieres hinwegrutschte.
Für einen Moment schwebte sie im Nichts, dann erfolgte der Aufprall, der glücklicherweise nicht so hart war, weil der Untergrund aus Gras und Sand bestand.
Auf dem Rücken landete sie. Unwillkürlich schrie sie auf, und ein Schmerzstoß zuckte durch ihren Körper.
Dann lag sie da.
Einfach so und nur auf dem Rücken, während sie den Hufgeräuschen des Pferdes lauschte, die immer leiser wurden, denn Sturmwind hatte die Flucht ergriffen.
Melu war allein. Sie lag da, den Kopf nach oben gerichtet und glaubte, einen Traum zu erleben. Wenn jetzt der Wind kam und sie einfach wegtrug, mußte das etwas Wunderbares sein, aber es blieben Wunschträume. Die Realität sah anders aus.
Der Sand hatte die Feuchtigkeit des letzten Regens behalten. Er leckte an ihrer Kleidung. Seine Nässe spürte sie, und dann erschrak sie zum erstenmal über ihre Lage, denn sie mußte den langen Weg zu Fuß wieder zurück.
Das gefiel ihr überhaupt nicht, es sei denn, Sturmwind kehrte wieder zurück.
Sie wollte nach ihm rufen, als ihr ein anderer Gedanken kam.
Sturmwind hatte noch nie so reagiert. Es mußte also einen Grund geben, der ihn so hatte handeln lassen.
Was konnte ihn denn erschreckt haben?
Melusine de Lacre erfuhr es sehr bald, denn vor sich hörte sie eine Stimme. Ein Mann sprach, ein Fremder, und er sagte nur zwei Worte: »Verdammte Scheiße…«
***
Melu erstarrte!
Sie dachte nicht einmal über diesen für sie unmöglichen Kommentar nach, sie lag einfach da und wurde zu einem Stück Holz, denn sie bewegte nicht einmal die Wimpern.
Wer war dieser Mann?
Das Mädchen konnte sich vorstellen, daß es ihm gelungen war, Sturmwind zu erschrecken. Das Tier war es nicht gewohnt, einem Fremden zu begegnen, er mußte vor ihm erschienen sein wie ein Geist, sonst hätte der Hengst nicht dermaßen überzogen reagiert.
Schleifende Schritte näherten sich ihr. Melu hörte sogar das feine Rieseln des Sandes, als sich der Fremde auf sie zubewegte und dicht vor ihr stehenblieb, wie sie spürte.
»He, hast du dich verletzt?«
»N… nein, ich glaube nicht.«
Ein scharfes Lachen klang an ihre Ohren. »Verdammt noch mal, dein Gaul hätte mich fast zertreten. Konntest du das Tier nicht unter Kontrolle halten?«
Melu bewegte die Lippen, auf denen feine Sandkörner klebten, die sie wegwischte. »Ich… ich … bin hier immer allein, verstehen Sie? Es ist niemand hier, das weiß auch das Pferd. Es hat sich eben erschreckt, als Sie …«
»Wie schön. Ich wäre fast krepiert.«
»Warum sind Sie nicht gegangen, Mister? Sie hätten weglaufen können, dann wäre…«
»Das konnte ich nicht, Lady. Das war nicht möglich. Ich komme aus der Hölle, Süße.«
Melu überlegte. »Was haben Sie da gesagt? Sie… Sie kommen aus der Hölle?«
»Ja.«
»Wo ist die Hölle?«
Das Lachen des Mannes klang schrill, und Melu gefiel es überhaupt nicht. »Weißt du nicht, daß die
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